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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Junge, in dem beide Anlagen schon gemischt vorhanden, der Älteste, ganz verantwortungsbewusst, ganz unkünstlerisch, dann ganz Leidenschaft usw., usw. eine ungemeine Fülle – aber im Hintergrund liegt für mich immer ein Stückchen nux vomitiva, 3 weil die deutsche Kritik und Wortgebung immer die Herrlichkeit der Rasse und Sippe betont, dabei ganz zu Unrecht, denn eigentlich hat man es mit einer sehr dekadenten und bestimmt mit einer im Punkte der Sittlichkeit und Geschwisterlichkeit überaus fragwürdigen mehr Sippschaft als Sippe zu tun. Dennoch ein ganz ungemeines Kunstwerk, und ich warte sehnsüchtig auf die weiteren Bände.
    Manche Ähnlichkeit damit hat der englische Roman Das Ende des Hauses Alard von * Sheila Kaye-Smith (Frau?) 4 Auch hier grosse Kunst und Brechnuss. Zwei Themen gehen zusammen. Das eine ganz realistisch. Der (nach dem Weltkrieg) zusammenbrechende adlige Grossgrundbesitz. Überschuldungen, äusserste Steuern und Erbschaftssteuern. Wille am alten Prunk festzuhalten bei tatsächlicher Armut und Entbehrung. Der Begriff der 500jährigen Familie als Moloch, dem das Glück der Einzelnen geopfert wird. Auflehnung. Eine Tochter heiratet den Freibauern ( * rousseauistisch). Ein Sohn wird Techniker. Der Titelerbe glaubt sich zur Geldheirat mit Jüdin (gemässigter Antisemitismus, stärkste Rassebetonung, stärkster Anti-Intellektualismus) verpflichtet und begeht dann Selbs[t]mord am Todestage des Vaters, der noch am Alten festhält, nur eine verkrümmte alte Jungfer hält dem Familienideal Treue. Aber das zweite Thema ist penetrantester, verbohrtester, für mein Gefühl wahnsinniger Katholizismus. Der jüngste Sohn, zuletzt der Titelerbe, tritt in einen Orden, predigt dogmatische Ethik der unsinnigsten Art, harte Religion, Unduldsamkeit, Entsagung, Gebet, Unnatur gegen Toleranz, Verschwommenheit, Suppenreligion des Anglikanismus. George Alard, gallikanischer Geistlicher, wird in seiner Toleranz und Lauheit verächtlich und lächerlich gemacht, bricht in sich zusammen, lässt sterbend den katholischen Amtscollegen holen. Das alles ist mir ebenso unbegreiflich als widerwärtig. Und immer mehr wird mir die Gattung Mensch ein Rätsel. So viel Genialität und so viel Irrsinn zusammengedrängt. Ich wünschte ich hätte im Dix-huitieme gelebt. Aber auch dies Buch unerhört lebendig und oft voller Humor.
    – Von * John Masefield: Der goldene Hahn (The Bird of Dawning). 5 Wohl die prachtvollste Seegeschichte, die ich je gelesen. So anschaulich in seiner Genauigkeit, dass man alles vor sich sieht, obschon die tausen[d] [F]achausdrücke der Segelschifffahrt unverständlich bleiben. Im Psychologischen viel einfacher als die * Conradschen Romane; aber diese einfachen Menschen leben. Und wie entzückend humorvoll der Übergang von Tragik zu Komödie von Heroismus und Besonnenheit zu Sport und sinnlosem Wagnis. – Jetzt vom gleichen Autor (poete laureatus 6 ) Orkan. 7 Wieder sehr fein, aber doch in Schilderung und Charakteren Variante, fast Wiederholung des goldenen Hahns. Diesmal ist eine Schiffszeichnung und ein ausführliches Lexikon der Fachausdrücke beigegeben. (Aber ich benutze es wenig.)
    Gestern bei anhaltendem drückend warmem schönen Herbstwetter zwischen 3 u. 5 Fahrt nach Edle Krone wie neulich u. weiter nach Dippoldiswalde.
    Überraschend, wie man aus dem waldigen Einschnitt auf freies Hochplateau kommt, wie dann in einem Gesammtbild um das massige Schloss herum die kleine Stadt tief unten liegt. Wir sahen sie erst leuchtend bunt im Spätsonnenschein, dann ergrauend. Rückfahrt auf der grossen Strasse schon in rauhem Frühdunkel und starker Herbststimmung nach der novemberlichen Seite. An der Innsbrucker Strasse kostete eine unvorhergesehene Sperre eine Mark Strafe – aber das war die schöne Fahrt wert. – Um fünf zu Haus, gleich danach noch allein zur Bibliothek und Abends mit * Eva ins Kino. Hinterher war es dann doch wieder zu viel für sie gewesen, und die Schmerzen kamen wieder.
    Vor ein paar Monaten hatten wir einen amerikanischen Farbenfilm mit * Annabella 1 gesehen: die mexikan[i]sche Farm, der unselige Indianer. Wieder ein Farbfilm 2 mit derselben Schauspielerin. Ich fragte mich wieder, warum die sehr guten Farben mich so sehr stören, besonders in Grossaufnahmen sehen die Menschen wie Puppen aus dem Wach[s]figurenkabinett aus, während sie doch in Schwarzweiss natürlich wirken. Und ebenso wirkt die farblose Landschaft natürlich, die naturfarbene gemalt. Wieso? Ich kann es nicht

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