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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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natürlich sehr viel Liebe. Und vor allem u. bei allem Steptänze der drolligsten Art: im Regen, im Wasser, im Pferdeabteil des Zuges.
    Heute Abend kommt der * Führer aus Italien zurück. Aufruf * Göhrings, ihm einen triumphalen Empfang zu bereiten, die tiefe Beglücktheit, die grösste Dankbarkeit zu zeigen (ich citiere wohl ziemlich wörtlich), Befehl BIS AUF WEITERES zu flaggen. Das geht nun schon seit vielen Wochen so: Wien, Rückkehr aus Wien, Geburtstag, Maifest, Abreise nach Italien. Wie will man noch steigern, was hat man vor? – Gestern (auch in diesen Notizen bin ich fatalistisch, man wird ja wohl nicht Haussuchung halten, und wenn – nicht alle Manuscripte lesen) gestern also sagte mir der [ der ] * Grünkrämer Berger aus der Hermann Göhringstrasse: Heute um ½ 8 suche ich den deutschen Geheimsender, ich finde ihn mit Kurzwellen. –?? – Ja, ein Freund von mir hat ihn gestern gehört. Es ist ein deutscher Geheimsender in Tätigkeit. Er hat wörtlich gesagt: Der Schuft ist jetzt in Italien. Es gibt sicher x Berger in Deutschland. All diese kleinen Leute sind technisch durchgebildet, gebildeter als ich. Und B., Frontsoldat und ruhiger Mann gegen Vierzig ist durchaus kein Communist. Daneben stelle ich: an der Landesbibliothek ist ein Diener, der mich seit Jahren in sein Herz geschlossen hat, der mir die Hand drückte, als er mich das erstemal nach dem Lesesaalverbot sah, der bestimmt und ganz bestimmt kein Nazi ist. Gestern begrüssten wir uns wieder sehr freundschaftlich. Aber gestern trug er das Parteiabzeichen. Es gibt sicher Millionen solcher Parteimitglieder.
    Die jämmerlichste Rolle (so abgeschmackt jämmerlich, wie ich sie den Italienern nicht zugetraut hätte[)], spielte bei der Führervisite der kleine * König und Kaiser. 1 Wie ein Portier musste er am Bahnhof in Rom und Neapel stehen. Wenn sie schon Kaiserreich spielen, dann sollten sie ihren Kaiser auch kaiserlich repraesentieren la[s]sen. Stattdessen läuft er wie ein leinenführiges Hundchen artig neben den beiden grössten Männern des neuen Europa her. Der Film bestätigt es und verewigt es.
    Die Buchhandlung * Beck in München (Hauptstadt der Bewegung[] sagt der Poststempel) zeigt mir heute einen * Mallarmé 2 an, 500 Druckseiten von dem Tübinger Romanisten * Kurt Wais. 3 Wer ist das? – Ich las meine Mal.studien von 1927/28. 4 Was habe ich alles gearbeitet! Und Gutes! Ob es ganz verschollen ist und für immer? Ferner: wenn einer 500 Seiten über Mallarmé schreibt, darf ich doch wohl 1000 an das ganze 18. Jh. wenden. Das sind so einige der nicht sehr lustvollen Gedanken, die mir bei dieser Buchanzeige durch den Kopf gingen.
    Noch ist zu sagen, dass mein Herz in letzter Zeit beim Gehen besonders arg strikt, dass ich mich zwinge, nicht daran zu denken, wie ein Schlot rauche und auch in diesem Punkt Fatalist sein will. * Georg wird gerade heute 73 Jahre. Die eigentliche Begabung in unserer Familie ist auf ihn und mich, den Ältesten und den Jüngsten gefallen. Wir beide stehen im Brockhaus, die mittleren Geschwister nicht. Von den mittleren sind drei tot, und * Marta ist moribund. Vielleicht halte ich auch in der Lebensdauer mit Georg Schritt. Ich möchte e[ e ]s] gern, es ist noch manches zu sagen, aber ich glaube es nicht.
     

 
    Sonnabend Abend, 14. Mai.
     
    Das Wetter ist plötzlich schön und warm geworden, und morgen wollen wir also unsere zweitägige Schlesienfahrt antreten – neue Feier des 16. Mai. Wir haben gestern auch Einkäufe beim * Gärtner Heckmann gemacht, und * Eva hat heute ein Spalier-Pfirsichbäumchen unter das Schlafzimmerfenster gepflanzt; wir haben auch dem * Klempner Haubold einen Wasseranschluss in den Garten in Auftrag gegeben. Womit denn der Lotteriegewinn mehr als aufgebraucht ist. Mir ist bei alledem so elend als möglich zu Mut – aber ich zwinge mich dazu. Welchen Zweck hätte Rücklage und Sorge? – Dabei habe ich Tag für Tag mehr den Eindruck, dass die Regierung unerschütterlich fest steht, dass das Volk wirklich zufrieden ist, dass die Aussenpolitik gelingt. Gerade heute ist meine Deprimiertheit wieder besonders stark.
    Ich fresse schlecht gedruckte und schwache Epigonentragoedien in mich hinein. Bis zu zehn Akten an einem Tage. Den Glauben, mein Dix-huitieme einmal zuendezuführen, verliere ich auch täglich mehr. Ich bin wohl nicht gedankenärmer oder entschlussloser als früher; aber mein Verhältnis zur Literaturgeschichte hat sich von Grund auf geändert. Früher wollte ich den

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