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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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nur gegen die Reichsautobahn hat er unerklärliche Aversion: trotz allen Einschaltungen von Pausen kommt der Kühler immer wieder ins Kochen.
    Sonnabend 23. Abfahrt ½ 11. Glatt nach Meissen, die schöne Strasse am linken Ufer, nach Elsterwerda (Mittagsrast), Liebenwerda, Jüterbog. Grosse Kaffeepause, das schöne Café * Blumberg, der grinsende Ritter am Rathaus. Um ¼ 5 weiter. Übliche Irrfahrt beim Umgehen von Berlin begann bei der Gedenksäule in Grossbeeren. Was Köpenick, was Oberschöneweide war, und wie wir nach Osten durchkamen, könnte ich nicht sagen. Ein paar sehr schöne Wasserstücke, Kanal oder Spree oder See mit Spreekähnen, Sportbooten, Dampfern, Motorbarkassen – es fehlte an Zeit und Ruhe, die Bilder aufzunehmen und zu lokalisieren. Um 7 etwa im Quartier. Grete in guter Verfassung, herzlich aber tyrannisch, erfüllt von Familienzwist, zerrte mich in ihre Affäre mit * * Sussmanns.
    Sonntag 24. Viel Regen, viel Herumsitzen, Familienmisere wie oben, Schwierigkeiten des Essens, Schlafens, Sichwaschens. Nachmittags im Ort Kino. Abend wie oben.
    Montag 25. Vormittag wie oben. Dann mit * Grete nach Berlin. Sehr schnell über Altlandsberg errreicht, ziemlich schnell Alexanderplatz, Linden[,] Tiergarten durchfahren, nach[h]er beim Rückweg sehr durchirrt. (Das Unheil begann am Bayrischen Pl., wo ich die Motzstr. verfehlte; wir wurden hoch nach Schöneberg verschlagen, ehe wir zum Halleschen Thor fanden. Von da geht es dann relativ bequem zu den Ostbahnhöfen und zur Landsberger Allee. Ich holte erst die gutmütige von Grete bewirtschaftete * Trude Scherk 1 aus ihrem ziemlich jämmerlichen möblierten Zimmer in der Badenschen Strasse (tröstlich die kleine Bulldogge Daisy der Wirtin), dann sassen wir zu viert eine Weile in einem Café an der Kaiserallee, dann hatten wir anderthalb Stunden Urlaub. Ein paar Minuten im äusserlich unveränderten KDW. (wie denn überhaupt dieser Teil Berlins unverändert und uns halb vertraut ist – nur ist jetzt – * E.s Bemerkung – ALTER WESTEN, was damals, ante bellum, NEUER W. war). Um ½ 5 bei Sussmanns, er und * Lotte, sehr hässlich geworden, Mitte dreissig. Freundlichste Kaffeeaufnahme. a) der widerwärtige Familienzwist. b) die bestimmtesten und erregendsten Behauptungen de situatione. c) Mitgabe des Religionsgespräches. Um 6 wieder im Caféhaus an der Güntzelstr. und Rückfahrt. Berlin übte wieder einen ungeheuren Reiz auf mich aus, gemischt aus Erinnerung und Jetzt, Erregung und Stolz im Punkte des Fahrens, das jetzt tadellos geht.
    Di. 26. Vormittag wie oben. Dann der wohlgelungene Ausflug nach Frankfurt a. O. * Frau Kemmlein zur Belohnung und als Wärterin der ungeheuer verwöhnten * Grete mitgenommen. Auf kürzester Linie in einer Stunde und zehn Minuten die etwa 75 km. hingerollt. Caféhaus am Rathaus. Die großen Backsteinbauten im Ordensstil sehr schön, aber der eigentliche Genuss wie schon im vorigen Frühling die Oder. Der breite mächtig strömende Fluss, die Strombrecher[,] die Inseln, der Fernblick auf Waldungen, die Oderkähne und Dampfer, die grosse Brücke. Wir gingen dort ein Weilchen herum, währen[d] Grete im Wagen blieb. Zurück auf der Aut[o]bahn bis Erkner, oft sehr hübsch durch märkischen Wald, in der Ferne Höhenzüge, aber einsam, von allen Ortschaften fern, ganz unbelebt – praktischer Nutzen dieser Bahnen??? – und immer die Misere des kochenden Kühlers. Dann bei Rüdersdorf die übliche Wirrnis der Strassenangaben, gesteigert durch ständige Umleitungen und Gretes Ungeduld. Ein durchlöcherter Waldweg mit förmlichen Granattrichtern, in denen sich Seeen gebildet hatten, geradezu glorreich durchfahren. Um ½ 8 zurück. Nach dem Essen mit Grete noch einmal ins Kino. Auf jeden Fall eine Wohltat, da man so dem ewigen Familienthema entging.
    Mi. 27. Abfahrt ½ 11. Durch die schöne Mark auf sehr passablen, allmählich immer besseren Strassen rasch vorwärts. Fürstenwalde, Beeskow (Mittag), Kottbus (leider das Caféhaus am Kamelplatz verfehlt), Hoyerswerda. Hier sehr erschöpft, wohlgelungene Kaffeepause. Bald die sächsischen Höhen vor uns, gegen 5 Königsbrück. Die letzte Strecke schwierig durch den grossen Verkehr und das schnelle Fahren der Arbeiter, des Militärs, der vielen Lastzüge. Um ½ 6 in Dresden, noch eingekauft, * Frau Lehmann machte Schweinscoteletten, dann las ich ein Weilchen den Kriminalroman der * Sayers vor, dann schlief man selig. Und heute habe ich den Roman zuende vorgelesen und mich in unserm schönen

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