Klemperer, Viktor
einzelner Berg, bald ein Hügelzug, 3) war sie toteinsam, ganz, ganz selten zeigte sich ein vereinzelter Wagen (O Strassen des Führers, welch ein verschwenderischer nutzloser Unfug!) 4) streikte der Kühler hier wieder besonders andauernd, wir mussten langsam fahren und immer wieder pausieren und waren glücklich an der Ausfahrtstelle Liegnitz eine Tankanlage zu finden. (Ich fragte den Tankwart, was seine Diagnose sei. Er sagte – anständig leise, damit es die Dame nicht höre – Scheisse im Kanonenrohr.[)] Bei Haynau verliessen wir die Ödnis, die noch nicht sehr viel weiter (nach Berlin zu) ausgebaut ist. Wieder Zufahrt zum Städtchen fünf km. Lange nach vier erst sassen wir wieder in unserm hübschen Café Holle am Markt. Ich brachte den Wagen in eine Tankstelle und liess Ölwechsel vornehmen. Aber geholfen hat das auch nichts. Nach fünf Abfahrt. Ich wollte rasch fahren und bis Görlitz durchhalten. Ich musste langsames Tempo nehmen und in einem Dorf etwa 15 km. vor G. rauchte und roch der Motor so gefährlich aus allen Poren, dass wir halten mussten. Wir liessen uns Selter und Schnaps und dem Bock eine Kanne Wasser geben. Der Aufenthalt in dem Wirtshaus war hübsch. Zwei Leute. Zwei Leute mit Musikinstrumenten klagten in hartem wohl polnischen Deutsch, sie könnten auf ihren Rädern kaum weiter, sie hätten im Magdeburgischen musizieren wollen und keinen Gewerbeschein erhalten, sie müssten nach Ratibor zurück, seien ohne Geld, bekämen in den Wirthäusern manchmal ein Bier, selten ein Ess[ s ]en. Es wurde ihnen geraten in ein nahes Gasthaus der Fernfahrer zu gehen, dort würden sie sicher von irgend einem Lastwagen mi[t]genommen. (Ein ander[e]s Landstrassenerlebnis, ich weiß nicht mehr wo: wir halten auf einer Höhe und schrittweis arbeitet sich herauf ein Zug von zwei Traktoren, die einen ungeheuren alten Maschinenkessel befördern, ein Geleitauto bei dem Transport, der Kessel mit grünen Zweigen gesc[h]mückt.) Es war gegen acht, als wir aus dem Dorf herausfuhren, wir kamen zum Glück noch bei Tageslicht durch das Görlitzer Strassenchaos. Ich fuhr dann lange Zeit sehr langsam, zumal jetzt das schreckliche Schluchzen der Maschine einsetzte. Wir machten uns mit dem Gedanken vertraut, auf der Strasse liegen zu bleiben. Aber allmählich beruhigte sich der Wagen, und auch das Kochen hörte auf. Als wir bei tiefer Dunkelheit in Bautzen das fünfte und letztemal tankten, war auf den vorhergegangenen 50 km. nur ganz wenig Wasser verbraucht worden. Nun kam die bekannte immer wieder spannende und nervenkostende Romantik der nächtlichen Waldfahrt. Ein komisches Intermezzo: Im Augenblick, da wir an einem haltenden Wagen vorbeifuhren, gab es einen zischenden Krach. Ich wusste nicht: war unserm Bock etwas zugestossen, hatte der Insasse des anderen Wagens geschossen, oder was sonst war geschehen? Gleich darauf begann * E. laut zu lachen; sie hatte sehr explosiv geniest und malte sich den Schreck und die Gedanken des Mannes im andern Wagen aus. – Um ½ 12 kam uns hier * Frau Lehmann verschlafen und ängstlich entgegen: sie hatte uns mit dem Essen seit Stunden erwartet.
Und nun bleibt die Frage: was ist an alledem so schön und lohnt die Strapazen und die fünfzig Mark Gesamtkosten? Wir wissen es nicht – aber es ist wunderschön.
23. Mai, Montag.
Am Donnerstag Abend erschien * Frau Lehmann. Sie war zum Amtswalter bestellt worden: es sei bekannt, dass sie bei einem jüdischen Professor und einem jüdischen Rechtsanwalt Aufwärterin sei. – Sie sei über 46, also berechtigt. – Gewiss, aber * Ihr Sohn kommt um seine Be[f]örderung im Arbeitsdienst, und * Ihre Tochter (Sie sollen das junge Mädchen nach Dölzschen mitgenommen haben!) um Ihre Stellung, wenn Sie diese Arbeit nicht aufgeben. – Also war die Frau von drei Arbeitsstellen zwei los, und wir sind allein. Am Freitag wuschen wir fast drei Stunden ab, und unsere Reisepläne waren begraben, da Haus und Kater nicht allein sein können. Frau L. war elf Jahre in unserm Dienst – [V]ertrauensposten.
* Eva dickköpfig wie immer. Es wird weiter gepflanzt, geplant, gehofft.
Inzwischen rückt auch die grosse Historie langsam weiter; die czechische Angelegenheit ist der Explosion nahe. 1 Deutschland wird einmarschieren, das scheint gewiss, und wahrscheinlich wird sich der oesterreichische Erfolg wiederholen.
Ich schrieb schon einmal in meiner * Jolleskritik 2 (unter Heranziehung des vergifteten Wassers bei Vossler * ): man dürfe nicht trennen:
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