Klemperer, Viktor
ist der Feind des Schlechten : ich fange an, die Regierung * Mussolini fast für eine menschliche u. europäische zu halten. –
Sonnabend vor acht Tagen waren wir bei den * * Geschwistern Wengler zu Gast. Sie haben eine kleinere aber hübsche Wohnung in der Weintraubenstr. bezogen. W. ist von seinem Schlaganfall wieder ganz hergestellt. Ein Zeichenlehrer u. Maler * Spank, 9 sein später seine * Frau, die – grauhaarig, alt – seine Mutter sein könnte, die Schauspielerin * Lotte Crusius, 10 ebenfalls dort. Beide irgendwie gleichgeschaltet, äußerlichst. Es war übrigens der Sonnabend, an dem die Schulen das Erntedankfest gefeiert u. Ausflüge auf benachbarte Dörfer unternomen hatten. – * Gusti W. ist auf der Rückreise bei ihren ganz rechtsstehenden Verwandten in Berlinchen gewesen: der * Witwe des * Amtsgerichtsrats Mühlbach, deren Mutter der Oberpfarrerin, deren Sohn, * Leutnant der Reichswehr Mühlbach. Erbitterung überall u. in der ganzen Schicht. Georg M. soll buchstäblich wochenlang krank gewesen sein, mit äußerstem Widerwillen habe er SA-Leute ausgebildet. – Auch erzählt G. viel von einigen besonders bösen Concentrationslagern. Von dem Elend, das der jetzt 60jährige * Erich Mühsam 1 erduldet. Er war schon frei, da fand man ein Tagebuch, das er in der Haft geschrieben, u. holte ihn zurück. – Ich selber werde immer vor dem Tagebuchführen gewarnt. Aber bisher bin ich ja unverdächtig.
Ein plötzlicher Ukas, den ganzen Di. Nachm. u. den halben Do. Nachm. von Vorlesungen freizumachen für Wehrsportübungen. Die Kw. Abt. 2 kann im Wesentlichen nur am Nachmittag lesen. Eine Reihe von Vorlesungen wurden einfach gestrichen. Wissenschaft ist jetzt nicht das Wesentliche. Meine * Corneilleübung auf Mi. verlegt. Ich wollte an dieser Sitzung erst teilnehmen, unterließ es dann doch. Solange ich nicht im Besitz meiner Ordinarienrechte bin, berate ich nicht mit. –
Am Nachm kam ein Glückwunsch von * Wally. Ihre drei Töchter: * Lotte beendet ihr Arztstudium in England; die kaufmännischen * Käte u. * Hilde in Stockholm u. USA. * Die Eltern allein.
Am 26. 9. machten wir bei mildem Herbstwetter eine letzte Fahrt ins Blaue: Durch Pirna nach Weesenstein . Ein festes rundes Schloß, teils fast mittelalterlich, teils Rokoko an Bergwald gelehnt. Wir kletterten – leider – im Gehügel ein wenig herum; es ermüdete * Eva sehr u. deprimierte sie tief.
Sehr viel vorgelesen: * Paul Lindau: Spitzen. Nicht schlecht die Verbrecher u. Dirnen – die adlige Spitzengesellschaft um 1880. ( Die Spitzen der Gesellschaft u. die gestohlenen Spitzen – Ehebruch, Kavalierseid; vor Gericht darf man Meineid leisten, aber mit dem Standesgenossen muß man sich schießen. Lindau ist ausgezeichnet im Schnoddrigen. Die gutmütige, kluge, vorwärtskommende Dirne u. Hehlerin Rose Mrockel eine großartige Gestalt.
* Kurd Laßwitz 3 Auf zwei Planeten. Mit dem größten Interesse gelesen, mit doppeltem Interesse. Diese technische Phantasie der Communication Mars–Erde ist von 1897. Vieles was da als technisches Wunder erscheint, ist heute ziemlich selbstverständlich; anderes was heute dominiert: Flugzeug, Auto, vor allem Radio fehlt ganz. Das ist das eine. Zum andern aber hat man es keineswegs mit einer bloß technischen Phantasie zu tun. Der Mann ist ein wirklicher Dichter, oft ein Humorist, mehrfach ein Denker u. immer ein Ethiker. Die Marsleute, die Numen wollen die Menschen zwangsweise beglücken u. heben, dabei ausbeuten. Probleme des Kolonisierens. Glück u. Unglück der Menschen, ihr Widerstand, schließlich der Ausgleich. Sehr hübsch die durchlaufende Liebesaffaire zwischen Menschen u. Numen – nirgends süßlich.
Ernst * Joseph Roth: Hiob . 4 Der Mann des Radetzkymarsches. Ein intimeres sehr ergreifendes, immer lyrisches u. doch ungemein episches Buch. Hiob – Mandel Singer aus russisch polnischem Nest, nach Amerika auswandernd. Ein Sohn im Weltkrieg bei den Russen verschollen, ein amerikanisierter Sohn in Flandern gefallen, eine männertolle Tochter im Irrenhaus, die Frau am Herzschlag gestorben, das jüngste Kind Menuchim als epileptischer Idiot in Rußland zurückgelassen. Mendel-Hiob ganz vereinsamt, verarmt, verbittert ist Gott böse, betet nicht mehr. Und dann die Märchenwendung im Sinne des Buches Hiob: Menuchim geheilt, ein großer Musiker komt nach New-York zum Vater, u. auch für die irrsinnige Tochter u. den verschollenen Sohn tauchen Hoffnungen auf. All das gedrängt u. doch voll realistischster
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