Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
Vom Netzwerk:
eine Ansprache u. empfahl sein Nest als Sommerfrische. Die gewaltige Gesellschaft war in zwei Gasthäusern untergebracht. Von den Vorträgen, die wir nun schon bis zur Wörtlichkeit kannten, hielten wir uns auf kleinem Spaziergang fern. Um ½ 7 Weiterfahrt. Hügel- u. Waldland. Das Erzgebirge, Dippoldiswalde, Maltersperre u. nun die ganze Seestrecke ausgefahren, bei Malter über den Staudamm u. mit beginnender Dunkelheit zum Abendbrod – all die 500 in einen Saal. Beim Essen war es noch kühl, nur sehr laut – aber nachher wurde es unerträglich heiß. Da gingen wir ins Freie u. machten bei wunderbarem Mondschein kleine Spaziergänge teils über dem Wasser am Waldrand, teils tiefer auf großer Straße. Das war sehr schön – aber von 9–½ 11 ist eine lange Zeit, u. wir übermüdeten uns etwas. Wir saßen nur ein Weilchen zwischendurch in einem Vorraum des Riesensaals. Innen deklamierte gerade ein Vortragender ein nationalsocialistisches Siegeslied. Während man sonst nach jedem Vortrag weit hinaus Beifallsjubel u. = gebrüll hörte, klang hier das Klatschen u. Heilrufen überaus dünn u. spärlich. – Dann eine rasche Rückfahrt über Wendisch-Carsdorf u. Possendorf, u. um ¼ 12 am Bahnhof. –
    Am 8. Sept. waren wir zum Essen bei * * Blumenfelds. Noch waren da * Frau Dember u. * Herr Gerstle. * Dember selbst ist geheimnisvoll in der Schweiz, er schließt dort einen Vertrag mit der Türkei u. wird für einige Jahre Professor der Univ. Konstantinopel. * Frau Gerstle war in Königsberg, beim Packen helfen. * * * Die Familie Sebba geht nun wirklich nach Haifa; morgen werden wir sie wohl hier sehen. Gerstles Stellungnahme mißfiel mir. Er schien sich fast mit der Lage ausgesöhnt zu haben, mindestens war er gottergeben, erklärte * Hitler für ein Genie, wollte den Gegner nicht zu gering achten, hielt den gegenwärtigen Zustand offenbar nicht für den allerschlimmsten unter unter den möglichen schlimmen Zuständen usw. usw. – Am 12/9 waren wir oben in Dölzschen, auf unserm unseligen Terrain u. bei Frau D. Diese seltenen Excursionen nach Dölzschen nehmen * Eva heftig mit – eben weil es mühselige Excursionen sind, weil sie so gar nichts von ihrem Gelände hat; und weil sie sieht, wie ringsum Häuser entstehen (als wir kauften, gab es in der Straße am Kirschberg 2, jetzt sind dort 7 Häuser), während wir nicht von der Stelle kommen. Trostlos. Ihre Stimmung verdüstert sich immer wieder, sie ist oft wirklich krank, liegt den Vormittag über – u. meine eigene Gesundheit läßt immer mehr nach.
     

 
    Sonntag Abend 17/9 .
    Gestern Nachm. bei Frau Schaps. Abschied von * * * Sebbas, die nun wirklich nach Haifa auswandern. Ihre Möbel schwimmen schon, u. sie selber fahren heute nach Triest, von dort zu Schiff weiter. Ich wechselte ein paar sehr herzliche Worte mit * Jule S. Alle Sentimentalität wurde vermieden, u. sobald alles beisamen saß, sprach man vergnüglich. Aber darunter war doch in allen sehr tiefe Trauer, Bitterkeit, Liebe u. Haß. Es hat mich sehr angefaßt, es hat * Eva furchtbar mitgenomen. Jule S. sagte, er habe sich immer als Ostjude u. somit wurzellos u. dem Deutschtum unverbunden gefühlt. Aber er geht doch aus Europa u. aus Sicherheit in eine Kolonie u. ins Ungewisse, er geht mit * * Frau u. Kind und fängt als Fünfziger von Neuem an. Uns beide, Eva u. mich, kränkt es so maßlos, daß Deutschland derart alles Recht u. alle Kultur schändet. – Denselben Abend hatten wir bei uns seit langer Zeit wiedereinmal größere Gesellschaft – die vier anständigen * * * * Köhlers, * Annemarie u. die * * Geschwister Wengler. Den ganzen Abend kein anderes Gespräch als eben das eine, entsetzliche. Man spottet, lacht u. ist doch im Grunde verzweifelt.
    Eva heute in sehr traurigem Zustand.
    Es ist noch ein Kinoabend vom 11/9 nachzutragen.
     

 
    Dienstag Abend 19/Sept.
    Zeitgeschichte im Film! Diesmal der Nürnberger Parteitag der NSDAP. Welche Massenregie u. welche Hysterie! * Hitler weiht durch Berührung mit der Blutfahne von 1923 (– * Feuchtwanger Erfolg 1 –) neue Standarten. Bei jeder Berührung der Fahnentücher ein Kanonenschuß. ( * Eva sagte: Katholische Hysterie). – Das Stück Schleppzug M 17. 2 Der biedere Oderkahnschiffer mit Frau u. Kind nach Berlin unterwegs. Dort verfällt er einer Dirne – dunkles wildes Verbrecherintermezzo – macht sich aber schließlich los, u. das Ganze hat ein verdüstertes halbes happy end. Großartig ist der massige * Heinrich George, 3 wie er mit

Weitere Kostenlose Bücher