Klemperer, Viktor
Schilderungen u. prachtvoller Lyrismen. Das Leben der sich eben amerikanisierenden Juden.
* Hans Roger Madol: Der Schattenkönig . 1 * Ludwig XVII. 2 Dies Buch, das eigentlich ungeheuer interessant sein müßte, konnten wir nur zum dritten Teil etwa lesen. Denn es ist kein Buch, es ist nur eine Samlung schlecht geordneter, und so verwirrender Dokumente. Immer wieder reißt der Faden ab, verknäuelt sich alles – nirgends hat man den durchgeführten Lebenslauf des * Helden oder irgend eine Nebenperson vor sich.
Das Buch wurde uns von * Berthold Meyerhof empfohlen, der auf ein paar Stunden hier auftauchte. Es geht ihm ganz elend, Concurs, Schulden usw., aber er wurstelt sich meierhöfisch durch. * Lissy M., die Schulpflegerin ist entla sen ssen. Sie war während des Krieges Schwester in einem Seuchenlazarett der franz. Etappe. Das gilt nicht als Kriegsdienst.
Für mich langsam, interessiert u. hoffnungslos weiter im 18. Jh. Bei den Kleinen, an den Rändern, in den Fakten. * Geoffray, 3 * Laharpe. 4 Was dargestellt werden muß, ist das absolute Ineinandergeschmolzensein von Aufklärung, Rokoko, Frühromantik, Gedanke, Gefühl, Abstraction u. Positivismus, die republique des lettres une et indivisible , 5 das siècle des lumières poétique . 6 Kampf gegen die flache Aufklärung, gegen * Lansons La poésie sans poésie. 7 Aber ich glaube nicht, daß ich dieses Buch noch zustandebringe. Nicht dieses u. nicht die Erinnerungen. 8
Sonntag 22/X
Ein Stück Roman. Wir entrüsteten uns vor ein paar Wochen (9. X) über * Gerstle . Sein * Schwager in Palaestina, u. er paktiert mit dem genialen * Hitler u. wünscht nur Abflauen des Auslandsboykotts. * Eva sagte, der Nationalsozialismus mache sie antisemitisch. Vor kurzem telephoniert * Frau Schaps an, sie wolle am Abend zum Kaffee zu uns komen. * Ihre Kinder Gerstle sind zum Essen bei * * Blumenfelds u. bringen sie im Wagen her. Um 8 Uhr Abends telephoniert sie ab. Es gehe heute nicht, ich solle nicht böse sein, ein andermal. Bedrückte Stimme, keine Angabe von Gründen. Acht Tage später mit Blumenfelds zusammen zum Abschieds-Kaffee bei * * Dembers. Das war letzten Donnerstag, u. gestern ist Dember nach Konstantinopel gefahren, seine * Familie folgt ihm im November. Grete Blumenfeld schwer deprimiert, verweint. Ich fragte, sie wollte verheimlichen, gab allmählich stückweis preis. Frau Schaps ihre zweite Mutter, Toni Gerstle ihr[e] engste Freundin – ich sehe sie nicht wieder. Sie waren jenen Abend schon nicht mehr bei Bl. s. Plötzlich verreist. Man hat ihm Schwierigkeiten in seiner Fabrik gemacht, Umstellungen erzwingen wollen. Zu seinen Feigenkäufen waren Devisen erforderlich, er wird Bestimmungen umgangen haben. Vorderhand war die ganze Familie – nach neuem deutschen Recht nimmt man ja Geiseln – offiziell in ihrem Landhaus in Oberbärenburg, de facto wohl schon jenseits der Grenze. Flucht ins heilige Land; was an Vermögen mitgeht, was dem genialen * Hitler verbleibt, weiß ich nicht. Weder ich, noch * Eva, noch * Gusti W konnten Schadenfreude unterdrücken. An diesem Abend hielt ich Bl. eine wilde Rede über die Pflicht der inneren Bereitschaft, über die Pflicht, den Haß nicht eine Stunde einschlafen zu lassen. –
Montag 23. October .
* Friedmann 1 in Leipzig, * Olschki 2 in Heidelberg entlassen. – Ich erfuhr heute, daß * Walter Jelski nach Palaestina geht. * * * Alle drei Töchter Sußmann sind im Ausland.
Vor wenigen Tagen * Fritz Thiele hier, bei ihm der * Staatsanwalt Fischer, den wir in Leipzig kennen lernten. Beide keine Nazifreunde, wenn auch nicht heftige Gegner. Wir waren mit ihnen im Ratskeller. –
Einmal, am 14. X bei den * * * * anständigen Köhlers. Hier herrscht besondere Erbitterung über das deutsche Christentum. 3
Seit ihrer Rückkehr aus Dänemark ist * Gusti W. oft bei uns. – Als neulich der Austritt aus dem Völkerbund 4 erfolgte, glaubte ich einen Augenblick, dies könnte den Sturz der Regierung beschleunigen. Ich glaube es nicht mehr. Das Plebiscit u. die famose Reichstags-wahl 5 am 12 Nov. sind ein prachtvolles Reklamemittel. Niemand wird wagen nicht abzustimmen, u. niemand wird die Vertrauensfrage mit Nein beantworten. Denn 1) traut niemand dem Wahlgeheimnis u. 2) wird ja das Neinkreuz doch als Jakreuz gelesen ..
Es gibt einige Dinge, die ich kaum noch erlebe: 1) den Sturz der Regierung, 2) den Bau unseres Hauses, 3) den unbefangenen Genuß einiger Tage. – Immerfort Schmerzen, von denen ich nicht weiß,
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