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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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würde[n], dürfte diese Revolution vielleicht typisch deutsch genannt werden weil sie im Vergleich zur französischen u. russischen so unblutig sei. Das hat mich schwer deprimiert, weil K. doch ein rechtlich empfindender, durchaus reiner Charakter u. ein ernster Historiker ist. Sein Schwager * Körner, deutschnational offenbar, berichtete sehr interessant vom Land. Er war bis vor wenigen Wochen Inspector im Mecklenburgischen. Die Regierung forderte und erzwinge ganz genau bestimmte Abgaben für Winterhilfe: soviele so und soviele Centner Kartoffeln bestimmter Größe u. Qualität, sov so und soviele Centner Weizen bestimmten spezifischen Gewichtes. Es sei dies durchaus Moskauer kommunistisches System. Sie zerschlage die großen Güter, schaffe Bauerngüter. Die Städte aber würden auf die Dauer nur von den großen Gütern ernährt, u. dies sei der Fehler des gegenwärtigen Regimes, an dem es einmal zusamenbrechen müsse. (Entsprechend erzählte * Annemarie ein paar Tage zuvor, in den Fabriken sei unter anderem Namen die Gewerkschaft jetzt allmächtiger, der Chef machtloser als zuvor unter der marxistischen Herrschaft. – Der Eindruck verstärkt sich, daß die Regierung immer weiter dem Comunismus zugleitet. Köhler * Kühn sagt, in einer seiner letzten Reden habe * Goebbels kaum noch verhüllt die Gefahr angedeutet, die jeder Revolution von der Übermacht ihres radikalen Flügels drohe. Und eben deßhalb meine er, Kühn, man müsse geradezu hoffen, daß die jetzige Regierung sich halte; denn erliegen könne sie nur ihrem communistischen Flügel. Körner wiederum betonte die Veränderung, die mit der SA vor sich gegangen sei. Anfangs eine Elitetruppe – jetzt ein Riesenheer allerverschiedenster unberechenbarer Elemente. Er erzählt auch von der unverhohlenen Feindschaft zwischen SA und Stahlhelm. –
    * Johannes Köhler klagte über den Gewissenszwang, den er als Geschichts- u. Religionslehrer nicht lange mehr ertragen könne. Schon kokettiert er mit einem neuen Studium, dem medizinischen; es wäre sein drittes, denn vor der Philologie hat er Betriebswissenschaft studiert. (Er mußte in der Schule Unterschriften sammeln für den Kauf einer Luther 1 rose mit der Umschrift Mit * Luther u. * Hitler. – Zu den dunklen oesterreichischen Kämpfen sagte er, es könnte die Exkaiserin * Zita 2 dahinterstehen u. die Absicht eines Donaureiches, das Deutschland nach Osten u. Südosten zu abdrosseln würde.
    Mit höchster Bitterkeit erfüllte mich am Montag der längst geahnte Abfall des * Frl. Papesch. So feindlich wie Sie, Herr Professor, kann ich der Regierung natürlich nicht gegenüberstehen. Aber – (großmütig) – Sie können ruhig sprechen, ich werde nichts weiter geben. Ich: Ich dachte, Sie stünden in der protestantischen Bewegung. Sind Sie jetzt []Deutsche Christin[']? – Sie errötete, u. ich brach ab. Ich bin innerlich mit ihr fertig.
    * Voßler, dem ich die Briefe Teubners schickte, antwortete ahnungslos u. ganz oberflächlich. Er weiß, daß mir vom Athenaion das neue Italiencapitel entzogen wurde; er rät jetzt, meine Lit.-Gesch dem Athenaion anzubieten. Er will auch mit * Hueber sprechen. Ist er so ahnungslos oder so teilnahmslos? Wohl das letztere. Denn vor ein paar Wochen riet er mir, im Ausland zu publicieren, u. jetzt rät er, es erst in Deutschland bei weniger ängstlichen Verlegern[] zu versuchen. – Ich habe heute an Teubner geschrieben, ich hielte an meinem Vertrag fest. Dieser ganze Briefwechsel mit Copieen meiner Briefe liegt beim unterm 27. I hier bei. An Voßler schrieb ich neulich: französisch zu publicieren passe für Herrn v. * Wartburg, nicht für mich, er sei aus der dreisprachigen Schweiz u. könne ihren Hotelstil dreisprachig anwenden, als unpersönlicher Gelehrter u. dürrer Mensch; ich müsse deutsch ausdrücken, was ich deutsch fühle.
    Heute Abend bei * Frau Schaps. – Verschlechtertes Wetter, verdüsterte Stimmung. Nerven bei * E. u. mir auf dem Hund. Schwer entzündete Augen. – Lektüre immerfort: * Der Titan . Notizen zur M me * Tencin .
     

 
    24. II Sonnabend .
    Bei * Frau Schaps hängt ein wunderschönes Aquarellporträt der kleinen * Elfriede Sebba. Das zwölfjährige Mädchen vereint im Gesichtsausdruck Geist u. Güte. Ein ganz unbekannter junger Königsberger Maler, der nur Anfangsbuchstaben seines Namens darunter gesetzt hat. Ich betrachte es nur als Leihgabe, sagte Frau Schaps, es geht einmal an meine Kinder zurück. Man ist in dem Augenblick alt, wo man wirklich

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