Klemperer, Viktor
vor * Hitler geschrieben ist u. keine entsprechende Notiz der Redaction ihm voransteht, u. da außerdem noch das Datum in der ersten Zeile verdruckt ist – ( * Voßlers 60. Geb. im Sept 3 3 , statt 32) –, so ist die ganze Geschichte haltlos u. unerklärlich.
13. März Dienstag Abend .
Nach einigen passableren Wochen wieder sehr schlechter Zustand. * Eva hängt mit einer langwierigen Zahnbehandlung. Sofort setzen wieder die Gehbeschwerden ein, sofort wieder die Verzweiflungsausbrüche. Hinzukommt, daß diese Behandlung etliche 100 M. kosten wird, die natürlich wieder den Bauersparnissen abgehen u. mich noch enger würgen, als eh schon der Fall ist.
19. März .
* E s Zustand hat sich ein bißchen gebessert. Die durchgreifende Behandlung der Zähne wurde nach Vornahme der dringendsten Reparaturen für ein paar Monate vertagt, und mit dem beginnenden Frühling hat sie ihren Gartenbau in Dölzschen aufnehmen können. Natürlich kostet dieser Gartenbau sehr viel Geld: Autofahrten, tagelange Arbeiterbeschäftigung, die Stunde zu 70 Pf., Bestellungen bei * Hauber, Dung, Instrumente .. Ich habe immer wieder Augenblicke, in denen mich die Geldangst fast erstickt; aber teils durch Abstumpfung, teils durch Disciplin bin ich dahin gekommen, principiell nicht über den Tag oder allenfalls den Monat hinaus zu disponieren. Eine im nächsten Monat zu bezahlende Rechnung zwinge ich aus meinen Gedanken heraus. Vielleicht werde ich doch durchkommen, vielleicht wird ein Wunder geschehen, vielleicht werde ich gepfändet werden – aber doch alles erst im übernächsten Monat. Hat E. bis dahin ein paar Weinkrämpfe weniger, versagt mir bis dahin das Herz ein paarmal weniger: so ist doch auch etwas gewonnen. Immerhin lastet der dumpfe Druck ständig auf mir.
Ebenso, im engen Zusammenhang mit der Geldsorge, mein Verhalten zur Berufssorge. Das neue Semester beginnt erst am 7. Mai; bis dahin ist relative Sicherheit. Vielleicht werde ich dann keine Hörer mehr haben u. abgebaut werden wie * Blumenfeld. Es ist ja auch schon davon die Rede gewesen, die ganze kulturwiss. Abt. zu pensionieren. Aber warum über den 7. Mai hinaus sorgen? Ist es denn so sicher, daß am 7. Mai noch die gleiche Regierung vorhanden ist? Der Vergleich mit den Jakobinern ist jetzt beliebt. Warum sollen die deutschen Jakobiner länger leben, als die französischen lebten?
So lebe ich unter dumpfem Druck von Tag zu Tag. Das Studium zu[m] 18. Jh. schleicht weiter; manchmal sehe ich ein Etwas davon klar vor mir; Augenblicke lang glaube ich, das Buch wird geschrieben, u. es wird sogar mein bestes Buch werden; zumeist ist mir so, als würde ich nie mehr zum Schreiben kommen. Übrigens nehmen mir die Wirtschaft (heizen, Frühstück etc. machen, die Katzen), Dölzschen, der Zahnarzt, zu dem ich * E. regelmäßig begleitete, das viele Vorlesen unendliche Zeit fort; wenn ich ein, zwei Stunden täglich zum 18 e komme, ist es viel. Auch hier zumeist dumpfe Wurstigkeit mit einigen Momenten der Verzweiflung u. einigen der Hoffnung.
Das gleiche im Punkt der Gesundheit. Immer wieder Herzbeschwerden, Müdigkeit bis zum Einschlafen am Schreibtisch, Schlundschmerzen bei jeder Körperarbeit, Augenschmerzen u. verschleiertes Sehen – aber auch Stunden normalen Lebens. Manchmal denke ich: noch drei, vier Jahre, manchmal: vielleicht doch noch zwanzig. Die ruhige Selbstverständlichkeit des Lebensgefühls ist hin, u. all die Arbeit oben in Dölzschen stimmt mich sehr wehmütig. Das Haus werde ich kaum erleben. Aber auch hier beschränke ich mich auf den Tag. Mag Eva pflanzen, mag jetzt ein Kellerraum gebaut werden.
Zweimal in letzter Zeit waren wir bei * * Blumenfelds, das letzte Mal dort mit * Frau Schaps zusamen, die dieser Tage nach Haifa auf Besuch fährt. Einmal bei * Annemarie in Heidenau. Einmal – ein Ausflug – in der * Hauberschen Gärtnerei. Überall lauschen wir – wirklich lauschen! ganz intensiv – auf Symptome der politischen Zukunft. In letzter Zeit scheinen sich wieder die Anzeichen zu verstärken, die auf ein absehbares Ende hindeuten. Das NS ist jetzt ganz oder fast ganz mit dem Bolschewismus identisch geworden; das leuchtet vielen von denen ein, die ihn noch vor kurzem als Bollwerk gegen den Bolschewismus u. als kleineres Übel betrachteten.
– In Breslau sitzt als * Neubertschüler 1 ein quidam * Kurt Jäckel , 2 mehr Hosenboden als Ingenium, aber ein tüchtiger u. fleißiger Mensch. Er hat schon mehrere Bände über * Wagner in Frankreich
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