Klemperer, Viktor
müssen, wie lange fortsetzen können?
– Letzten Sonntag ein nun schon fast üblicher Abend bei * * Blumenfelds. Man sprach sich gegenseitig Mut, Stoizismus, Skepsis zu ein; wir hörten schöne * Schubert 1 -Gramophonplatten; es kam sogar dahin, daß * Eva Schubert spielte . Inzwischen ist Blumenfeld halbwegs zur Strecke gebracht worden. Er wurde als Dozent am P. I. in den Ruhestand versetzt. Das nimmt ihm Geld, aber nicht die venia legendi. 2 Es zeigt sich immer deutlicher, daß das P. I. in kurzem ganz von der Hochschule getrennt werden dürfte. Dann kann man auch auf mich den § 6 (Abbau wegen Überschüssigkeit) anwenden.
Am Mittwoch Abend waren * Kurt Rosenberg u. seine * Frau, die Ärztin, unsere Gäste; die Hamburger Verwandten der * * Kaufmanns, zu deren Ehe wir selber ein bißchen mitgeholfen haben; (und jetzt ist ihre * Älteste schon über 5 Jahre!) R. ist als Anwalt abgebaut, hat aber soviel verdient, daß er ein paar Jahre zusehen kann. Er glaubt jetzt durch Auskauf eines anderen Anwalts, der ins Ausland will, eine neue Zulassung erhalten zu können. Auch mit den R. s ging das endlose Gespräch über die Dauer des gegenwärtigen Regimes. R., der Einblick in Landwirtschaftsverhältnisse hat, glaubt nicht an die finanzielle Haltbarkeit des Systems; aber er bezweifelt es, daß der finanzielle Zusamenbruch den politischen nach sich ziehen müsse. –
* * Blumenfelds hatten mir gesagt, der Bankier * Mattersdorf 1 würde mich in der Bausache beraten. M. nahm die Geschichte töricht achselzuckend u. fast unhöflich u. ganz ignorant: ein Holzhaus schien ihm so etwas wie eine Hundebude zu sein. Aber ich lernte seinen Sozius kennen, den * Commerzienrat Meyerhof; es ergab sich daß er mit meinen * * * * * Meyerhöfen verwandt ist, er erzählte, daß * Leonie Meyerhof-Hildeck 2 im August gestorben sei, wir plauderten Mischpoche, u. er wurde warm. Ergebnis; er will sehen, ob er mir nicht einen privaten Geldgeber verschafft u. will mich telephonisch benachrichtigen. Ich bin ohne Hoffnung u. klammere mich doch an jede Hoffnung. * Praetorius ist wieder mal optimistisch, irgendeine Hamburger Bank soll die Hypothek geben. –
Es wird frühlingshafter, u. * Eva war in diesen Tagen schon 2 x oben. Heute wurden zwei Fuhren Mist geliefert. Alle Chauffeure kennen uns schon, u. ein paarmal bekam ich zu hören: []ich habe Sie gefahren, als Ihr Haus noch nicht stand. Dann muß ich immer beschämt sagen: Es steht auch jetzt noch nicht; u. bei mir denke ich: es wird nie stehen. Eva ist jetzt mutiger u. im Augenblick wahrscheinlich sogar mit den Nerven besser daran als ich. (Neulich Nachts im Dunkel des Walderseeplatzes sagte ich einem Chauffeur: Bitte Hohe Str ... u. schon fiel er ein: Acht ... Ich habe Sie nach Dölzschen gefahren)
Teubner hat unsern Briefwechsel vorläufig schwebend abgeschlossen; man müsse die Entwicklung abwarten.
Tage, die auf Bankbesprechungen folgen, (der heutige nach der * Mattersdorfsache) sind für mich immer besonders bitter. Ich kome mir so gedemütigt u. hilflos vor. All die andern um mich haben Geldreserven: * Blumenfeld, * Rosenberg, * Dember, * Edgar Kaufmann, der eine Krankenversicherung in Palaestina dreht, * Sebba, der alte Kaufmann – Hamerschuh, deutsch-christliches Unternehmen lese ich täglich in der Pragerstr., u. vom Hamerschuh leben die Kaufmanns, hier die Alten u. in Palaestina die Jungen – u ich, ordentlicher Professor, bekannter Romanist usw., usw., ich kann aus der Not nicht heraus u. bin ganz vernichtet, wenn die Regierung mich entläßt.
Ich erzählte dem * Commerzienrat Meyerhof, wie * Leonie Hildeck 1897 vor * Hans M. u. mir als Versuchskaninchen über * Ibsen 1 Vorträge hielt, u. wie ich wegblieb, weil ich Radfahrunterricht nahm. Zuletzt hörte ich von Leonie H., als sie vor etwa ein oder zwei Jahren uns schrieb, wir möchten uns eines jungen Bildhauers annehmen. Ich lehnte damals ab, weil wir ganz vereinsamt u. ohne gesellschaftliche Beziehungen seien .. In der Frankfurter Ztg. soll sie einen ehrenvollen (redactionellen) Nachruf gehabt haben. Dennoch ist sie ganz verschollen. Sogar ihre berühmtere Freundin * Anselma Heine 2 ist es ja ... Immer verfolgt mich jetzt die Idee: Geschichte meines Lebens. Das sind die drei Ideen: das Haus, das 18. Jh., die Autobi Autobiographie. Und hinter allen dreien jetzt so oft das Nevermore.
In der Zeitschrift Dante in Paris erschien, von * F. Bertaut aus dem Ms übersetzt mein Artikel: Die Idee der Latinität in Deutschland. Da er
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