Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
Vom Netzwerk:
Verehrerin * Walzels, was zu diesem Nach Hause[] * Kant, 1 * Lessing, 2 * Goethe, 3 * Schiller 4 wohl gesagt hätten. Antwort: sie wären einverstanden gewesen, man müsse über tragische Einzelheiten u. Fehler hinaus den Glauben haben. Und heute hat sie mir einen pathetischen Brief geschrieben, den ich auch meiner Samlung einfüge: Tragik, Schmerz um Freundschaft, gegen Vaterland u. Volk müsse alles zurückstehen, die Wundertat des * Führers, an den sie glaube. –
    Dagegen: gestern in der Landesbibl. Eine Handschriftensamlung des verstorbenen * Vollmöller 5 ist ihr angeboten worden, ich sollte einen Blick hineinwerfen, obwohl ich von Handschriften nichts verstehe. (Übrigens scheint nichts wertvoll Neues dabei zu sein) Gespräch mit dem sehr alt gewordenen B Director * Bollert 6 u. dem jungen * Dr. Kästner. 7 (Zuletzt sprach ich [mit] Bollert auf im dem Hof der Bibl. als er mit * Ulig zusamen dort promenierte. Vor ein paar Monaten. U. ist jetzt in USA. Damals wies B. auf meinen braunen Anzug: Noch nicht braun genug, Herr Professor. Jetzt war sein Brief an mich unterschrieben: Mit den besten Empfehlungen, Heil Hitler! Der Director[] etc.) Bollert sagte tröstend in Gegenwart des jungen Dr Kästner: Sie glauben nicht, wie wenig N.S. es gibt. Es komen so viele Menschen zu mir. Zuerst weit ausgestreckter Arm, Hitlergruß. Dann tasten sie sich im Gespräch heran. Dann, wenn sie sicher geworden sind, fällt die Maske. Ich selber muß den Arm ausstrecken. Ich sage ‹Heil› – aber ‹H. Hitler› bringe ich nicht über die Lippen. Ich war eben in Süddeutschland. Da hört man sehr selten das Heil Hitler' – meist Grüß Gott!' Aber die nordische Rasse tritt immer deutlicher hervor. Alle Gesichter sind länger geworden ... Die Feier des 1. Mai' war ein Schlag ins Wasser Ich hatte hier 40 Leute versamelt. Zur Radiorede des * Führers waren noch 5 hier[.] (Das stimmt zu den 30 Studenten, die am Festzug im Betrieb der Hochschule teilgenomen haben.)
    * Marta Wiechmann besuchte uns am 6/6, ich nahm sie nach Dölzschen mit hinauf. Sie sagt in ihrer Meißener Schule, ihrem Meißener Kreis: ängstliches Stillschweigen, gegenseitiges Mißtrauen, lastender Zwang.
    Am 5/6. die jungen * * Köhlers zusamen mit * Frl. Carlo 8 oben in D., dann zum Abendbrod bei uns. Am 9/6 wir bei den * * Eltern Köhler zum Essen. Erbitterung u. Gewißheit, daß es zu Ende gehe. * Köhler wußte schon von dem gleich darauf veröffentlichten Erlaß des Reichsunterrichtsminister * Rust, 1 wonach alle Lehrer jährlich 4 Wochen lang im Gemeinschaftslager nationalpolitisch überholt werden sollen. (Überholt, wieder die mechanische Terminologie) Die immer stärkere Tyrannei ein Zeichen immer größerer Unsicherheit. – Die * Carlo verkehrt im Hause des früheren hiesigen * Unterrichtsministers Kaiser. 2 Auch dort wartet u. hofft man auf das nahe Ende. Stahlhelm – Centrum – Reichswehr. Köhler hat von irgendwoher erfahren, man warte den Tod des schon mehr als halb aufgelösten * Reichspraesidenten ab. –
    Am 21. 6. bei * Annemarie in Heidenau , genauer, auf der Veranda der Assistentenwohnung * Dr. Dressels. Ähnliche Gespräche, ähnliche Stimmung. Übrigens ein wunderhübscher stark alkoholischer Abend.
    Am 8/6 bei * Hauber, lange Besichtigung, der Abteilungschef * Steffens, ein Mann von 56 Jahren, älter aussehend, führte. Wir kamen ins Gespräch, er tastete sich heran, klagte sehr. * Der Sohn, Mitte 20 arbeitslos, aber bei der SA, u. also ohne Unterstützung. Der Vater hat ein Gehalt von 200 M. (zweihundert Mark, Fachmann, 35 Jahre auf seinem Posten) u. muß für Sohn u. * Tochter u. * Frau sorgen. Ich sehe meine Kinder nicht mehr viel, immer sind sie in ihrer Organisation; ich muß auch mit Reden vor ihnen vorsichtig sein; mitten in die Familien hinein ist Mißtrauen gesät. Im vorigen Jahr sagte derselbe (ganz deutsche, ganz kleinbürgerliche) Mann mit leuchtendem Auge unser * Volkskanzler.
    B Unser Volkskanzler war kürzlich zur Reichstheaterwoche in Dresden. 3 Auf mehrere Tage. Vorschriftsmäßig hingen die ganze Woche über Wälder von Hakenkreuzfahnen in den Straßen, brachten die Zeitungen Artikel: Das Erlebnis von Dresden und so. Und: der Jubel der Hunderttausende, und so. Aber die SA., soweit sie nicht aufmarschiert war, lag ständig in Bereitschaft (ich weiss es von meinem Studenten: die ganzen Tage im Keglerheim!) u. der Führer erschien, verschwand, bewegte sich, schlief immerfort anderwärts u. zu anderer Stunde, als offiziell

Weitere Kostenlose Bücher