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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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u. Betrunkenheit ja gesagt. * E. u. ich haben ihr Nein auch nur aus einer gewissen Verzweiflung u. nicht ohne Furcht angekreuzt.
    Dennoch, trotz der moralischen Niederlage: * H. ist unumschränkter Sieger, u. ein Ende ist nicht abzusehen.
    Mir fiel das kurze Tro m elfeuer der Propaganda auf. Sie setzte erst ganz wenige Tage vor dem 19. ein, dann aber mit einer Raserei der Fahnen, Aufrufe, Radioansprachen. Immer spekuliert man auf Dummheit u. Primitivität. Das Volk läßt das Gestern übertäuben, die * Röhmrevolte, den * Dollfußmord usw. usw. Solche Narkosen kann man nur unmittelbar vor der Operation einleiten. – Aber wie lange wirkt die Psychose noch, u. auf wen. Am 17. hielt * H. seine große Wahlrede in Hamburg, u. dort war der Mittelpunkt des angeordneten Festjubels. Gerade in Hamburg hat er die meisten Nein erhalten, 21 % der abgegebenen Stimmen.
    Heute hörte ich von * Ellen Wengler, was neulich schon * Kühn behauptete: H. habe der Reichswehr bindende Versprechungen gegeben, er sei nicht mehr frei, es sei eigentlich ihre Diktatur. Kann man daraus Hoffnungen für seinen Sturz schöpfen? Ich bin momentan sehr hoffnungslos.
    Zu beachten das Verhalten im Verbot u. Zulassen ausländischer Zeitungen. Man kann die Ferne nicht mehr abriegeln, es hören zu viele das Ausland im Radio. Also gibt man sich weitmöglich den Anschein, die ausländ. Presse nicht zu fürchten, in der Hoffnung, die Masse greife doch nicht nach ihr. Nur in ganz schlimmen Fällen verbietet man. Aber natürlich: deutsche Auslandspresse (oesterreichische, schweizerische) wird ferngehalten.
    – Der Bau schreitet gut vorwärts (doch haben wir Materialsorge, schon ist Firnis knapp u. teuer, Metall = u. Gummisperre steht bevor); das * Voltairecapitel schleicht von Zeile zu Zeile.
    Heute werden wir mit den Söhnen 1 der * Buck fertig. Eine ungeheure epische Leistung.
     

 
    1. September Sonnabend. Abends
    Heute war es ganz anders als geplant. Es sollte Richtfest sein. Die Holzmauern wuchsen in der letzten Woche nach langer Vorbereitung der einzelnen Balken sehr rasch hoch. Mein Eindruck wechselte täglich: bald meine ich ein Hundebudchen vor mir zu haben, bald sieht die Sache reputierlicher aus. Es gab nun heute von der Nacht an einen so schweren und bis gegen Abend ununterbrochenen Herbstregen, daß die Leute gar nichts tun konnten. Das Dach wird also Montag oder Dienstag aufgesetzt werden u. dann Richtfest sein. Die Anordnung habe ich * Praetorius überlassen, den der fortschreitende Bau förm buchstäblich verjüngt.
    Es war gut, daß heute nichts zustande kam. * Eva leidet seit einer Woche in steigendem Maß an einem Magenkatharrh, die heutige Nacht war ziemlich entsetzlich, sie lag den ganzen Tag.
     

 
    2. Sept. Sonntag .
    Meine eigene Gesundheit ist schlecht: viel Herzbeschwerden, ständige Entzündungsschmerzen in Schultern, Genick, Kopf, vor allem in den Augen, geringste Produktionskraft, Zerschlagenheit. – Bin ich fauler als andere? Andere reisen, wandern, sind in Gesellschaft, spielen Karten, verbringen das Leben auch unproduktiv. Ich versorge mehr als den halben Tag über die Wirtschaft für Eva u. die zwei Katzen u. lese einen großen Teil der andern Hälfte vor. Auf Nach einer Zeit der ernsthaften Lektüre, oder wenn Eva sehr zerschlagen ist, muß ein spannender, möglichst ein Criminalroman heran. So sind wir eben bei * Edgar Wallace, Der grüne Bogenschütze 2 gelandet.
     

 
    4 Sept. Dienstag .
    B Das Richtfest fand gestern am 3/9 statt. Eva sehr frisch, u. ich sah doch, wie sehr ihr das [Haus] am Herzen lag. Ich selber mehr beobachtend u. sehr wehmütig. 9 Arbeiter, darunter der * Mann unserer Aufwartefrau, diese, * Frau Lehmann mit ihrem kleinen * Mädel, die beiden * * Praetorius, * Ellen Wengler, die Blutspenderin. Um 3 kamen wir im Auto herauf mit einem Berg Kuchen u. sehr vielem Kaffee. Die Birke (natürlich aus dem Wald geholt) mit weißroten Papierwimpeln oben. Die Leute arbeiteten noch. Keine Fahne. Ich hatte bestimmt: wenn eine Fahne nötig befunden würde, dann jedenfalls schwarz-weiß-rot. Wir kletterten auf dem erzwungenen deutschen Dach herum. Schön geworden ist es, u. das Ganze macht nun einen durchaus reputierlichen Eindruck. Dann wurde eine Brettertafel vor dem Haus aufgestellt, der Kuchen verschwand blitzschnell, man saß eine Weile, Ellen Wengler photographierte eifrig. Nach 5 zogen wir zum Hebeschmaus: An der Altfrankenerstr des Restaurant Zum Kirschberg. Ein kahles Zimmer für uns. Ein gräulicher

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