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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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28 engste Seiten im Ms., mindestens 40 im Druck. Immer noch brüte ich über der Disposition der beiden Bände. Am liebsten: Du côté de Voltaire, 3 Du côté de * Rousseau – zwei Längslinien, und dann die Zusamenführung: a) die Mittleren, b) die Revolution. Aber wird sich das machen lassen? Volt. läuft geht wirklich mit dem ganzen Jh. Rousseau kommt nach so vielen Vorbereitern. Also müßte ich beim Rousseaubuch ganz anders zurückgreifen als beim Voltairebuch.
     

 
    14 Sept.
    Sprache d. 3. Reichs . * H. sagte auch, als er zur Jugend in Nürnberg sprach: Sie singen gemeinsam Lieder. Alles zielt auf Übertäubung des Individuums im Collektivismus. – Ganz allgemein Rolle des Radio Radio beachten! Nicht wie andere technische Errungenschaften: neue Stoffe, neue Philosophie. Sondern: neuer Stil . Gedrucktes verdrängt. Oratorisch , mündlich. Primitiv – auf höherer Stufe!!
     

 
    26. Sept.
    Ungeheures Chaos oben, wo wir am 1/X einziehen sollen. Beginnendes Chaos unten. Übermäßige Ausgaben. Alles ist Sonderrechnung, alles muß sein. Erdbewegung, Heizkörper firnissen, Treppen ölen, Feuerversicherung um ¼ pro Mille höher, Brandkasse, ein Ausguß u. ein Wasseranschluß über Vertrag, Telephon, Autos, Autos, Autos. Ich werde mit dem letzten Pfennig duchkomen – wenn ich durchkomme. Das Stottern habe ich gelernt, als sei es meine Muttersprache. – Das Häuschen wird hübsch, u. wenn ich frisch bin nehme ich alles mit Mut u. sogar Vergnügen hin. Aber ich bin selten frisch u. oft verzweifelt. Das Herz sehr schlecht. – * Eva dagegen schwelgt in Plänen des Weiterbauens. Aber auch sie leidet. Ihr rechtes Handgelenk jeden Morgen verschwollen. Aber sie rechnet damit, 90 Jahre alt zu werden, u. ich – von vielem Herzklopfen gemahnt – glaube manchmal, oft, meistens; noch zwei, drei Jahre vor mir zu haben. –
    Ich klammere mich an die Arbeit. Täglich im Durchschnitt eine halbe Ms.-Seite * Voltaire. Das Kapitel werde ich zusamenstreichen müssen. –
    Es hat aber keinen Zweck zu verzweifeln. Wäre der * Hueberprozeß übler ausgegangen, wäre ich jetzt schon viell finanziell am Ende. Vielleicht hilft mir das Schicksal weiter. Schließlich ist es ja ein Wunder, daß wir das Haus überhaupt u. gerade jetzt bauen konnten. Warum sollen nicht weitere Wunder geschehen?
     

 
    Donnerstag 27/9
    Wir waren letzten Sonnabend bei den anständigen * * Köhlers; es war nett wie immer, bekam uns aber durch eingeschlossene Luft u. Rauch sehr schlecht. * Vater K. sagte mit echtem Gefühl: Was muß das für Sie bedeuten, daß nun das so lange ersehnte Haus fertig wird! – Ich prüfe meine Gefühle, sie sind sehr gemischt. Gewiß eine Segen für * Eva, aber ein dauernder? Wird nicht die Klage über Verkrüpplung, die Enge, der Wunsch weiterzubauen den Segen paralysieren? Forse chè sì, forse che no. 1 Und ich? Auf Stunden freut es mich. Öfter fühle ich die finanzielle Last, die Gebundenheit, das Nichtmehrreisenkönnen. Aber das hätte ich auch ohne Haus nicht mehr gekonnt, wenn sich E s Zustand gleich bleibt. Am häufigsten plagt mich das Gefühl des wahrscheinlich nahen Endes. Das: Wozu noch? Aber dann sage ich mir eben: für Eva, für den Zeitrest, er mag nun groß oder klein sein. Und am Schluß gleicht sich das alles aus in dem Endurteil: unwesentlich wie alles andere auch. Ganz zurück dränge ich die furchtbaren Erinnerungen an all die Bitterkeiten, die an dem Hausplan haften. * Berthold ist tot, wozu noch einmal mit ihm abrechnen. – Unsere Freunde, * Karl Wieghardt, * Ellen Wengler, zuletzt (s.u.) * Trude Öhlmann 1 haben das Häuschen, den Garten in ihren verschiedenen Stadien photographiert, u. für diese Bilder haben wir ein Album gekauft. Da sieht man das nackte Gelände mit dem Zaun, dann den Keller allein, dann das Richtfest usw.
    Am Sonntag war * Trude Öhlmann auf einen Tag hier u. brachte ihren * Jungen mit, der inzwischen 16 Jahre u. Untersekund[an]er geworden. Bis voriges Jahr leidenschaftlicher Nazi, ist er jetzt heftiger Gegner u. will sich von der H. J. ausschließen. Ich fragte, was ihn abstoße. Die Führer – Mitschüler – nehmen uns bei Ausflügen mehr Geld ab, als sie für uns ausgeben. Es läßt sich nicht nachrechnen, ein paar Mark gehen immer in ihre Tasche; ich weiß, wie das gemacht wird, ich habe selbst schon geführt. Jeder muß 50 Pf. abliefern für den morgigen Wandertag ... Dann schreibt man ins Buch: 2 M. Überschuß u. liefert 2. M ab. Aber man hat 4 M Überschuß gehabt.

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