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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Praetorius. Neulich telephoniert sie am frühen Morgen: Also Herr Professor, wir haben Schwierigkeiten mit dem Holz u. müssen es anderwärts bestellen. Sie haben die Wahl zwischen einer Verzögerung von etlichen Wochen u. schlechterem Material. Natürlich geriet ich in Wut, natürlich war alles falscher Alarm. Die Dachbalken sollen von der Dürre einige belanglose Sprünge haben, die sie sowieso bekämen u. die ihrer Solidität keinen Schaden zufügen – – sagen die Fachleute. Ich verlasse mich auf * Eva, hänge mein Herz an keinen Besitz u. bin fatalistisch. Im Übrigen macht mir das das sichtliche Heranwachsen des Hauses Freude u. trotz schlechten körperlichen Befindens u. trotz der krampfhaften Unsicherheit der allgemeinen mich so schwer u. unmittelbar treffenden Lage bin ich im Ganzen hoffnungsvoller als seit langem. – Ich schloß wegen des Umzugs nach mehrfachen Verhandlungen mit den Hofchaisenträgern ab – Mitbewerber waren * Pfütze u. * Thamm 1 (der uns schon zweimal bediente). Kosten 240 M. Sie werden gedeckt durch den glorreichen Ausgang des * Hueberprozesses. Heute kam eine Abrechnung. Da ich einiges von meinen vielen schon gezahlten Kosten zurückerhalte, da mir 361,20 [M] zugesprochen sind, da ich andrerseits mit 2 / 7 an den Gesamtkosten des Prozesses teilhabe (640,07 M, wo es sich ursprünglich um ein Objekt von 600 M handelte!!), so erhalte ich jetzt etwas über 300 M. zurück. Eine fühlbare Erleichterung meines Geldmarktes! –
    Ich fand – was mir völlig entfallen war, wirklich völlig! – daß ich 1916 in Paderborn, Driburg 2 u. Leipzig fast alle wesentlichen Schriften * Voltaires genau excerpiert habe, zum Glück in leserlicher u. ziemlich großer Handschrift. Ich las vieles sehr sorgfältig durch, ordnete alles genau zur Lektüre von Abschnitt zu Abschnitt, wie ich im Schreiben vorrücke u. beschloß nun heute, mit dem Einleitungscapitel Voltaire u. das 18. Jh. anzufangen. Jawohl, heute; jetzt am Vormittag, u. wenn es ein halbes Dutzend Zeilen sind, bevor ich nach D. hinauffahre. Es hat keinen Zweck länger zu lesen, ich werde nur immer unsicherer davon. Und ist erst dieses Aufbaucapitel da, dann taste ich mich wohl auch weiter. Was noch an Lektüre notwendig ist – vieles! – muß nun von Fall zu Fall erledigt werden. Ich werde völlig schwindlig u. schlaff, wenn ich noch länger so blind um mich lese u. taste. Es ist mir mit all meinen Büchern so ergangen: ein Moment des buchstäblichen Überdrusses am Vorbereiten, der vollkomenen Wirrnis, der f[ur]chtbaren Verzweiflung komt. Doppelter Verzweiflung, weil alles schon gesagt ist u. weil ich nicht alles lesen kann. Wenn ich dann resigniert beginne, mit der Ordre für mich selber: Du mußt schreiben mag es nun gut oder schlecht, fett oder mager, selbständig oder Imitation werden – dann ist es bisher doch noch nie so ganz schlecht u. dürftig ausgefallen. Warum soll ich diesmal versagen? Ich bin noch keine 53 Jahre alt. Ich muß mir wie ein Calvinist beweisen, daß ich noch in der Gnade bin. Also: Beginn von Bd IV meiner Litgesch: am 11. August 34.
    Ich glaube, der 11 Aug. war Verfassungstag der Republik. Dieses ich glaube ist charakteristisch; die Feier wurde nie populär, nie mit Schwung u. Resonanz durchgeführt. Die Republik war in diesem Punkt allzu protestantisch; sie vertraute allzu sehr auf das Geistige u. verachtete das Sinnliche, sie überschätzte das Volk. Bei der gegenwärtigen Regierung ist das Gegenteil der Fall, u. sie übertreibt dieses Gegenteil ins Unsinnige. Daß man Minister = , Führerreden auf Platten aufnimmt u. wiederholen läßt, daß man im Film gleiche Staatsscenen mehrfach vorführt – benone. 1 Aber wenn man im Rundfunk die Leichenfeier bei Tannenberg wiederholt, wenn man also so tut, als würde * Hindenburg Hi tatsächlich 2 x begraben, wenn man also nicht die offenkundige Reproduktion eines Aktes bringt, sondern die Illusion erweckt, der Akt ereigne sich buchstäblich 2 x, u. wenn dieser Akt eben das Leichenbegängnis des väterlichen Freundes u. sein Einzug ins Walhall ist, dann profaniert man eben ein Heiliges, man automatisiert es u. macht es lächerlich.
     

 
    21. 8. Dienstag .
    Die fünf Millionen Nein u. Ungültig am 19. August gegen 38 Ja bedeuten ethisch sehr viel mehr als nur ein Neuntel des Ganzen. Es hat Mut u. Besinnung dazu gehört. Man hat alle Wähler eingeschüchtert u. betrunken mit Phrasen u. Festlärm gemacht. Ein Drittel hat aus Angst, eines aus Betrunkenheit, eines aus Angst

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