Klemperer, Viktor
Einer, ganz arm, seit einiger Zeit Führer, fährt jetzt Motorrad .. .. – Merken denn das die andern nicht auch? – Sie sind so dumm; u. dann: es wagt ja keiner etwas zu sagen, mit dem andern zu reden. Jeder fürchtet sich vor jedem! – Hat nicht das Morden am letzten Juni Eindruck gemacht, der Mord an den eigenen Leuten? Nein, im Gegenteil! Da rühmten alle seine * Tapferkeit, das hat sehr imponiert. – Welch vielfältige Corruption der Kinder! Vielleicht, wahrscheinlich unterschlägt gar nicht die Mehrzahl dieser Klassenführer. Aber jedem wird es zugetraut, jeder könnte es tun, viele werden sich sagen: wenn ich es nicht tue, glaubt man doch, ich hätte es getan, also warum nicht. Die typischen Unsittlichkeiten des Sklaven werden großgezogen.
Neuordnung der Studentenschaft Man rühmt sich, die Zahl von 12 000 auf 4 000 herabgedrückt zu haben (um akademisches Proletariat zu vermeiden[]); diese 4 000 sollen eine einheitliche Mannschaft bilden, zwei Semester lang in Kameradschaftshäusern wohnen u. Einheitstracht tragen (d.h. Kaserne u. Uniform) Es dürfen sich nicht mehr 1 500 Verbindungen um sie reißen. (D. h.: die Verbindungen werden aufgelöst). Nun sin[d] die Verbindungen gewiß keine Stätten der Bildung, Freiheit u. Moderne gewesen; sie sind sogar daran schuld, daß der NS. so großen Anhang bei den Studenten fand, u. es geschieht ihnen gerade so recht mit ihrem Hereinfall wie der Deutschnationalen Partei. Dennoch bedeuten im Augenblick die Verbindungen genau wie die Deutschnationale Partei den NS. gegenüber Kultur und Freiheit. Und ich habe die leise Hoffnung, daß sich hier unter den Verbindungsstudenten nun eine neue Front gegen die NS. bildet. Aber es sind alles nur Gärungsfronten. Und bis zur durchgreifenden Explosion kann es Jahre dauern. Inzwischen wird man die leergewordenen Hochschulen zusammenlegen wie entwertete Aktien. Und unter den überflüssigen u. abgebauten Professoren werde auch ich sein, spätestens zu Ostern. – * Eva sagt: wer wird bis Ostern denken? Und damit hat sie recht. –
Für meine Sprachstudie ist zu beachten: Gebärdensprache : Einheitstracht neben Gruß, die Tracht der deutschen Mäd el . Ein besonderer Excurs über das unsentimentale el – Woran scheiterte die große Armada? An besserer Kriegskunst, flinkeren Schiffen der Engländer? Am Wind? An Wirtschaftlichem? Teilauskünfte! Sie kämpfte gegen den Geist, Deus afflavit . 1 Woran scheitern die Hitlerianer? Am Wirtschaftlichen? An Außenpolitik, an den Juden, dem Centrum .. ..? Teilauskünfte. Am Kampf gegen den Geist! Deus afflabit. 2 Aber wann?
Ich las in den letzten Wochen vor: * Edna Ferber Cimarron . 3 Noch bedeutender, humorvoller als die vorhergelesenen Bände. Der Run auf Oklahoma 1881 u. die Entwicklung, nachdem das Petroleum entdeckt. Die elenden Indianer in ihrer Reservation, dann reich, faul, fett. Der genialische, abenteuernde, schauspielerische, alkoholische, verkomende Held, Rechtsanwalt, Zeitungsherausgeber, Pionier, Cowboy; seine Frau französischen Blutes, tüchtig, Heldin u. doch ihm unterlegen an Geist, zuletzt Deputierte im Congreß: Jancey u. Sebra. Der Jude, Händler u. Besitzer des großen Waarenhauses. Sebras Kinder: der dekadente Sohn, den die Indianerin heiratet. Die berechnende moderne Tochter, die den verheirateten reichsten Mann heiratet. Welch unendliche Fülle von Gestalten, Situationen, Komik, Tragik, Humor. Jesaia der Negerjunge, den die Indianer durch eine Klapperschlange töten, weil er die indianische Rasse schändet ... Eva sagt: Dickens . 4 Fraglos, aber * Dickens[,] amerikanisiert u. potenziert. Immer hat die Ferber: den Juden, immer den Ladenbesitzer der sich müht, sich in eine Kiste beugt u. Holzwolle an den Ärmeln hat. Immer das Mädchen meiner Generation, das zur Selbständigkeit gelangt. Immer die Abneigung gegen die kalte Berechnung der darauffolgenden Mädchengeneration. Immer Romantik u. Ironie gegen die Romantik. Immer das bunte, frischeste Draufloserzählen. Keine Wortkunst, weder dekadent, noch primitiv, noch compliciert – Natur!
* Hergesheimer: a) Der Steinbaum b) Die schwarzen Pennys . 1 Die gleichen Qualitäten im Seelischen u. wirklich Dichterischen; die gleichen allzugroßen u. störenden Mängel. * Zola der Novelle. Eine Familie, ein Blut wird wirkend durch Generationen verfolgt. Aber die Zusamenhänge bleiben äußerlich, belasten nur, sodaß die späteren Novellen zuviel Ballast tragen. Man komt nicht herein, wird nicht warm – u. im Augenblick wo
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