Klemperer, Viktor
man ergriffen ist u. mehr wissen will, reißt die Geschichte ab. Man wird auf einen Roman gespannt u. mit einer Novelle abgespeist. Sodann: zu viel Landschaft, auch wo sie nicht hingehört. Zuviel Schilderung der Innendekoration, der Kostüme. Das Gegenteil der Anschaulichkeit wird erreicht, die Charakteristik erstickt unter Modebericht u. Möbelschau .. Der Steinbaum bringt Scenen aus der amerikanischen Geschichte vom 18. Jh. bis zum Ende des 19. Ausgezeichnet die ersten Stücke. Der halbindianische Trapper, der sich in der Siedlung als Gefangener fühlt u. von Frau u. Kind in die Wälder zurückgeht. Ein Nonnenraub. Eine Blutrache bei primitiven Rechtsverhältnissen. – Wirr die Scenen aus dem Bürgerkrieg. – Die Pennys: Leute romantisch dunklen Blutes Walliser. Am eigenartigsten das erste Stück. Rokokozeit. Die Familie hat eine Eisenhütte gegründet. Der Held reißt eine Rokokodame aus London–Versailles zu sich hinüber. Das neue Land, die neue Industrie. Schleppend das zweite Stück: Die aufblühende Eisenindustrie, Anfänge der Eisenbahn. Der Held noch großer Eisenmann, aber in seiner Liebe schon etwas dekadent, zart sehnsüchtig, alternd. Das dritte Stück: die ungeheuren Penny-Metallwerke der Gegenwart. Ein alter Penny abseits, in Gesellschaftserinnerungen an das Paris von 1880 hindämernd. Ein Mädchen der neuen Generation schwankend zwischen dekadenter Industrie Aristokratie u. dem etwas proletari sierten schen Eisenmann der neuen Epoche, der ein illegitimer Nachkome der Pennys ist, brüchig u. stark. Eigentümlich das Ineinander von Seelen = , genauer Liebes = u. Eisengeschichte. Aber gerade in diesem Buch sind die Kleider = u. Möbelschilderungen von der allerermüdendsten Breite u. ersticken die äußere u. innere Handlung.
Die Geschichte des modernen amerikanischen Romans u. seiner Beziehungen zu Europa schreiben, im Centrum immer das Problem der Völkerpsychologie, u. was sie bestimmt! Es wäre ein so wunderschönes Thema! Wenn ich mich gesünder fühlte, so würde ich disponieren: Bis Mitte 60 schreibe ich meine französ. Lit.-Gesch fertig u. die Sprache der drei Revolutionen u. meine Erinnerungen. Dann ein erstes Pensionsjahr in Amerika gelebt, u. dann diese Geschichte der amerikan Literatur! Aber mein erstes Pensionsjahr wird 1935 beginnen u. bald danach werde ich begraben sein.
Am 12. Sept. waren wir einmal wieder im Kino, Nachmittags im alten Fü-Li 1 in der Fürstenstr. Krach um Jolanthe 2 nach einem Lustspiel von * August Hinrichs. 3 Merkwürdig daß die NS. das erlauben. Es ist gar keine Verherrlichung der Bauern – anzi! Der idealistische Lehrer wird tief enttäuscht. Sinnlichkeit, Eigennutz, Kampf gegen den Staat, Betrug untereinander. Jolanthe ist eine preisgekrönte Sau, gepfändet, weil der Bauer dem Staat eine Zahlung verweigert hat. Daraus lustige Complicationen. Die Heldin Anna recht skrupellos in ihrem Liebesschwanken zwischen dem zarteren Lehrer u. dem derber zupackenden Müller; ein bißchen Hintertreppensentimentalität der u. sehr viel Sexualität u. derber Egoismus ... Alles gut charakterisiert, kraftvoll komisch, brillant gespielt. Imer wieder bewundere ich die Technik. Es wird jetzt so natürlich gesprochen, so rasch, deutlich u. nuanciert, daß kein Unterschied zum mehr vom tatsächlichen Sprechen besteht. In wie wenigen Jahren ist diese Entwicklung gekomen! Die Schauspieler alles neue Leute, unbekannte Arier. Zwei ausgezeichnete Frauenleistungen. * Marianne Hoppe 4 als Heldin, * Carsta Löck 5 als dummpfiffige Magd Stine. Sprache u. flache Landschaft wiesen so ungefähr in die hannöversche Gegend, nicht allzuweit von der Küste. – –
Ich gebe des Umzugs halber Bergeweis Bücher in der Landesbibl. ab, die seit Monaten hier lagen, von denen ich das wenigste gelesen habe, u. die ich später neu bestellen muß. Helf er sich. Es wird auch so schon etliche 50 Bücherkisten geben, u. sehr viele davon werden unausgepackt auf den Boden komen, unter das deutsche Dach.
Sonnabend 29/9 gegen Abend .
Seit ½ 6 auf. Von ½ 8 bis gegen 4 haben die Packer hier gehaust, und jetzt sieht es wüst aus. Montag soll dann umgezogen werden – u. oben war gestern auch noch ein Chaos.
Im Januar 28 zogen wir hier ein. Die letzten Jahre waren sehr bitter. Zu * Evas Geburtstag 1932 kaufte ich das Land, April 33 wurde es umgepflügt und umzäunt, März 34 bauten wir den Keller, der jetzt Möbelspeicher wird, ohne Hoffnung u. Möglichkeit des Weiterbauens. Am 29/Juni 34, an unserm
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