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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Hochzeitstag nach 30 Jahren, schloß ich den 12 000 M.-Vertrag mit * Ellen Wengler, Ende Juli begann der Bau. – Gestern Abend war ich so obenauf, daß ich dem Chauffeur, der sich als Fahrlehrer entpuppte, das Versprechen gab, im Frühjahr bei ihm Unterricht zu nehmen – (das ist jetzt sehr billig geworden, 74 M. mit allem Prüfung) –, heute morgen kamen wieder Herzbeschwerden u. Depression. –
    Wir essen heute Abend bei * Gusti Wieghardt, morgen bei * * Blumenfelds. – Vorgestern Abend waren auf der Durchreise * Walter Jelski u. seine * Lilo Eggler hier; sie werden in einer Woche aus der sächs. Schweiz zurückkomen, u. danach berichte ich dann im Zusamenhang von ihnen.
    Wie ich die nächste Zeit – völlig ausgepumpt – finanziell überstehen soll, ist noch ein Rätsel. Aber Schulden sind jetzt das Übliche, u. nach dem Wunder des Hausbaus (u. der Errettung aus dem Hueberprozeß) mögen andere Wunder kommen.
    Das * Voltairecapitel ist bis zur Pucelle 1 gediehen gediehen. Ich lese vor – mit Entzücken – * Buck Ostwind 2 – Westwind. Ganz andere Tonart, u. doch an das 18. Jh. anklingend, an * Lettres Persanes, 3 aber auch an * Rousseau (das Kind selber stillen!).
    Ich lasse mich treiben, vielmehr ich handle in allem, in meiner Arbeit u. der Hausaffaire, als hätte ich bestimmt u. mindestens noch 20 Jahre vor mir.
    Eine aufwühlende Sache ist das Zerreißen alter Schriftstücke. Sept 29 Brief eines Oberstleutnants vom 10 Inf. Rgt. Bitte um Auskunft, ob * Hans Hirche zum Offiziersanwärter geeignet sei. Etwa aus der gleichen Zeit, Dankbrief eines preußischen Dezernenten im Unterrichtsministerium für meinen romanistisch-paedagog. Bericht in der Erziehung. 4 Und dann Sept 33, sächs. Ministerium: Sie haben durch Einreichung einer Ordensurkunde Ihre Frontkämpferschaft lediglich wahrscheinlich gemacht. Als Nichtarier ... Wir geben Ihnen 4 Tage Zeit den Beweis zu erbringen ...
     

 
    Dölzschen, Am Kirschberg 19. Sonnabend 6. X. 34
    Nun dauert, noch wenig gelichtet, das Chaos eine Woche. Immer noch überall donnernde Arbeit der Zimmerleute, des Maurers, Installateurs usw. Größte Abgekämpftheit. Seit einer Woche keine Arbeitsmöglichkeit mehr. Immer wieder starke Herzbeschwerden. Meist sehr mutlos. Die Glückwünsche der Leute berühren mich peinlich. Selten Momente wirklicher Freude. Aber * Eva blüht in all diesem Wirrwarr trotz ständiger Ermüdung und schwerer Behinderung durch das verschwollene Handgelenk.
    Dies die ersten Zeilen, die ich hier wage. Aber der Füll 5 ist mir gar zu unbequem, auch ist alles in größter Unordnung, und voller Lärm. Die meiste Zeit stehe ich untätig herum, zermürbt.
    Am Sonnabend um 7 kamen zwei alte Packer; um 4 sah es schon wüst bei uns aus. Immerhin, man fand sich noch zurecht. Zu Abend aßen wir friedlich bei * Gusti Wieghardt, das erste Mal nach dem großen Weihnachtszwist. Am Sonntag leistete Eva fürchterliche Nachlese u. Demontierungsarbeit. Ein wenig konnte ich helfen. Ein wenig aber auch noch lesen ( * Voltaire Semiramis 1 ) u. vorlesen ( Ostwind – Westwind[]/ * Buck ) Abends bei * * Blumenfelds. Nach dem Essen kamen * * Salzburgs , sehr gealtert in den Jahren, seit wir sie gesehen, mit erwachsenen * * Söhnen – der älteste studiert Medizin in Rom. Er erzählte von * H. s Besuch in Venedig bei * Mussolini. H. habe eine große deutsche Rede gehalten, M. eisern zugehört u. dann gesagt: Nun wollen wir Tee trinken. Alle Zeitungen hätten das berichtet, u. es sei jetzt geflügeltes Wort in Italien. Der * Vater Salzburg erzählte als absolut verbürgt: vor einigen Wochen * Don Carlos = Aufführung in Hamburg. Bei Posas Sire geben Sie Gedankenfreiheit! 2 minutenlanger Beifall. Am nächsten Tage der Carlos von allen Bühnen abgesetzt, so auch von Dresden. – – Zu Haus noch bis 1 Uhr Koffer gepackt.
    Montag stand ich um ½ 6 auf. Um 7 begann das Ausräumen. Ich glaube, 8 Mann arbeiteten. Zwei große Wagen, Motorwagen u. Anhänger. Um 11 voll, es blieb noch für einen Wagen Stoff. Eva fuhr mit dem Möbeltransport hinauf. Ich blieb mit den Reinmachfrauen. Während die Wagen fuhren, gab es einen Gewitterguß. Als man oben mit dem Ausladen begann war er vorüber, u. dann hielt sich das Wetter. Ich saß in einem Feldstuhl im leeren Musikzimmer. Da fiel mir ein:
    An diesem Punkt, 1. X 34, Umzug ins eigene Haus – unter welchen Umständen, mit welchen Gefühlen, wie anders, als man sich das sonst denkt, mit welch bittersten Erinnerungen, mit wieviel Sorgen! –

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