Klemperer, Viktor
diesen Glauben, die andern jene u. jenen. Wieder große Kunst der Charakteristik u. Seelenbeschreibung. Die Jungen finden zu Europa hinüber, die Alten zerbrechen daran. Die völlig andere Auffassung von Frau, Liebe, Familie. Bruder u. Schwester. Er heiratet eine Amerikanerin, sie einen westlich gebildeten chinesischen Arzt. Bruch zwischen Vater u. Sohn, Tod der Mutter. Die Schwester erzählt.
Sonntag Abend 14. 10.
Immerwährendes Räumen, Auspacken, Umpacken, Einordnen, Staub, Staub, Staub, grenzenlose Ermüdung, den ganzen Tag nicht aus dem Haus, Kisten, Kisten, Kisten. Wochentags ein Dutzend (unübertrieben!) Handwerker um uns, Sonntags allein. Gestank von Farben, neuen Geräten, Staub, Staub, Staub. Auf den Boden schleppen, vom Boden schleppen, wieder hinauf. In den Keller, vom Keller hinauf, in den Keller zurück. Er ist noch feucht, der Zucker ist ein nasser Klumpen. – Heute Abend besonders müde. Aber ich denke: übermorgen werden 9 / 10 der Bibliothek aufgestellt sein, u. das letzte Zehntel wird für den Boden verstaut sein. Völlige Nichtigkeit dieses Besitzes. Nur wieder ein bißchen arbeiten können, ein bißchen Ruhe haben. Ich denke, hoffe: am Mittwoch. – Das Elektrogerät ist nun fast vollständig, der Klempner fast völlig fertig, nur * Maler Lehmann arbeitet u. arbeitet, u. die Kosten steigen u. steigen. Gott weiß, wie ich meine Idunapolicen in diesem Winter zahle.
Heute den ganzen Tag pausenloser Regensturm. Wir sind hier wahrhaft auf dem Lande u. im Gebirge. Der Blick auf die Stadt hinab u. auf die Bergwand jenseits der Elbe immer wieder schön. Wundervoll die Stadtlichter am Abend, noch schöner in der ersten Morgendämerung. Dagegen werde ich nicht abstumpfen. – Wäre nur vorderhand nicht alles so gräßlich unbequem, eng u. chaotisch. Und wäre nicht die ewige Geldsorge.
* Georg gratulierte mir aus New-York, wo er seine * Söhne besucht. * * * Drei sind jetzt in USA, nur * Otto, der Physiker ist in Cambrigde. Wie reich muß G. sein, daß er all diese Familien erhält, während er selber in Pension ist. * Wolfgang Kl., * Felix zweiter, in New-York studierend, schrieb mir: Der größte Teil der Familie Kl. ist jetzt in Amerika. Er hat recht: fast die ganze männliche nächste Generation. –
Zwei merkwürdige Typen unter unsern Handwerkern: Der * Elektriker Trojahn, ein Ostpreuße aber österreichischen Gemütes. Imer höflich, nie zuverlässig. Alles nicht stimmend, alles zu spät. Dabei schädigt er sich mindestens so sehr wie mich. Er rückt mit zwei kleinen Lehrjungen an, die Jungen wissen nie, wo der Meister steckt; der Meister weiß nie, wo seine Jungen herumfahren usw. usw. Ich mache die bittersten Vorwürfe, er ist reich an Ausreden, schüttelt alles von sich ab, ist höflich, verspricht u. hält wieder nicht Wort. – Der Malermeister * Lehmann, über die Sechzig, Mann unserer * Aufwärterin. Arbeitet gut, ist stark von sich eingenomen, sehr ethisch veranlagt. Guttempler, 1 hat als alter Socialdemokrat ein paar Wochen gesessen, betrachtet sich als Leiter der Arbeit hier, bevatert uns, fühlt sich als Paedagoge u. Künstler. Ist zur Zeit in großer Freundschaft mit seiner Familie. Aber zwei Jahre lang mindestens hat uns * Frau Lehmann geklagt, wie schlecht er sie behandle u. hat sich all die Zeit vergeblich um Scheidung von ihm bemüht. ( * * Jelskis mutatis mutandis) –
Die großen u. noch zweifelhaften Neuheiten des Hauses sind die Elektroküche u. die Centralheizung. Der Ofen ist noch ziemlich untraitabel 2 – bald Riesenhitze, bald aus –, die Kochplatten brauchen die doppelte Zeit wie ein Gasherd, vielleicht sogar die dreifache. – Der Boden vor unserm Hause löste sich in glatten Schlam auf; wir müssen so rasch als möglich einen festen Weg anlegen, haben 3 cbm Schlacke bestellt.
Bisweilen muß ich zum Gemeindeamt hinauf (Heil Hitler! – es geht nicht anders[)]. Von der Höhe des Dorfes ein geradezu bedeutender Blick über die Breite der Stadt nach Osten. Es ist ein wirkliches Dorf mit wirklichen Gehöften; aber der Dorfplatz ist eine ganz großstädtische Anlage, vielmehr der Schmuckplatz eines Kurortes. – Sächsisch: Am Gasthof Dölzschen ist eine Kreidetafel: []Gedeckte Veranda, Kaffee u. Kuchen, prachtvolle Laubfärbung.
Sprache des dritten Reiches : Der Propagandaminister zeichnet immer * Dr. Goebbels Er ist der Gebildete in der Regierung, d.h. der Viertelgebildete unter Analphabeten. Merkwürdig verbreitet ist die Meinung von seiner geistigen
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