Klemperer, Viktor
beginne ich einmal meine Erinnerungen . Wenn mir Leben zu ihnen bleibt.
Nach zwei kam das Möbelauto, den Rest holen. * E. wieder vergnügt zwischen den Leuten vorn. Ein Kaffee, zu dem Tassen im Haus geborgt worden. Dann wieder hinauf. Diesmal fuhr auch ich in dem großen Lastauto mit. Dann mußte ich wieder in die Stadt. Dann wurden die Leute hier oben fertig. Nun mit Eva in einer Autodroschke herunter. Unsere Katzen aufgeladen. Endgiltig hinauf. Hier das Chaos. Im Stich gelassen vom Installateur. Kein Licht, keine Kochgelegenheit.
9 . 10. Montag Irrtum! 8. X Montag
Immer noch Chaos. Ich schreibe am freien Schreibtisch. Aber nichts ausgepackt, überall Kisten, unbefestigte Regale, Arbeiter – – Chaos, Chaos, Chaos, keinerlei Arbeitsmöglichkeit. – Ich bin heute 53 Jahre alt. * Eva hat bisher noch nicht daran gedacht, daß mein Geburtstag ist. Mitten im Trubel war wieder * Walter Jelski bei uns, gestern Nachm. u. Abend mit * Frau u. * Schwägerin, über Nacht allein. –
Der erste Abend hier oben also allein mit zwei Katzen, Kerzenlicht, einem frischgekauften Spirituskocher mit unberechenbarer Vergasung u. tückischer Flame. Tee u. Schinken. Früh zu Bett. Das Bettzeug in einem Schrank, der sich nicht öffnen ließ. Auf den bloßen Matratzen geschlafen. Den ganzen nächsten Tag ungewaschen, mit ungeputzten Zähnen. Im Badezimmer fehlte u. fehlt der Heißwasserspeicher. Wir erhielten notdürftigen provisorischen Brausenanschluß. Ich weiß wirklich nicht, wie diese erste Woche im Einzelnen vergangen ist. Ein wüster Traum von einigen hübschen Augenblicken durchbrochen. Hübsch wenn man sich des Häuschens, des schönen Herbstwetters, des Fernblicks freut. Aber immer der lähmende Lärm der Arbeiter, die erzwungene Untätigkeit, das Herumstehen im grenzenlosen Wirrwarr, die ungeheure Schwierigkeit des Wirtschaftens im verknappten Raum; Küche im noch nassen Keller, die Wohnräume verstellt, fehlende Kochgelegenheit, fehlendes Geschirr, unfertiges Badezimmer, unfertige Beleuchtung. Dazu die Geldsorge. Die notwendigen Nebenausgaben immer höher schwellend. Dazu die ständigen Herzbeschwerden. – Immerhin bringt jeder Tag eine winzige Besserung u. Klärung der Lage. Vielleicht daß ich im Lauf der nächsten Woche ins Arbeiten kome. Auch mit dem Vorlesen hapert es noch sehr. Abends ein Viertelstündchen. Aber das Deckenlicht blendet, u. die richtige Lampe ist noch unverwendbar. – Besondere Schwierigkeit machen die Katzen. Besonders Nickelchen maßlos verängstigt. Das Kästchenproblem. – Erste Herbstregen, aufgeweichter Boden, Notwendigkeit, einen festen Weg anzulegen.
* Walter Jelskis Geschichte, wie ich sie jetzt übersehe. Er hat vor ein paar Jahren das Schauspielerleben abgeschlossen, Freude am Kaufmännischen bekomen. Er hatte an der Frankfurter Ztg. Stelle in Propagandaabt. war dann in Basel. Dort eine alte Freundschaft, Liebe, freie Ehe, noch von der Schauspielerzeit her. * Lilo (Charlotte Elisabeth) Eggler. Blasses, blondes ziemlich unscheinbares feines Geschöpf, jetzt 27 Jahre (er: 31) Von Geburt Deutschrussin. * Vater war drüb in Rußland Photograph, sie selber kaufmännisch tätig, eine * ältere Schwester Kunstgewerblerin, ein * Bruder in München verheiratet mit * Tochter des conservativen * Ministers von Gayl. 1 – Walter ging nach Jerusalem fand dort Posten als Versicherungsagent. Dann starb Anfang dieses Jahres die * Mutter Eggler. Die Kinder erbten ein Vermögen (Kriegsentschädigung auf Sperrkonto). Nun heiraten Walter u. Lilo am 10. X als Auslandsdeutsche in Berlin, u. sie bekomt 15 000 M. für Palaestina frei. In sehr complicierter Technik u. Schiebung, da ein Teil davon ihrer Schwester gehört u. über Palaestina, wo es zum Certificat der Kapitalisten nötig, nach der Schweiz zurückgegeben wird. – Walter hatte einiges hiervon von Basel aus angedeutet u. sollte mit seiner * Lilo im September bei uns sein. Durch übliche taktlose Einmischung * Martas wurde dieser Besuch hinausgeschoben u. fast unmöglich gemacht. W. u. L. waren kurz vor dem Umzug einen Abend in der Hohen Str. bei uns, gingen dann nach Gohrisch. Dort bekam er einen Zahnabsceß u. erschien am 2. X hier. Wir schickten ihn zu * Isakowitz u. packten ihn für die Nacht auf den Boden, unter dessen deutschem Dach mehr als die Hälfte unserer Möbel steht (auf den Weiterausbau wartend!) Den nächsten Tag fuhr er dann wieder nach G.Und gestern erschien * er mit Lilo u. der älteren sehr feinen * Schwägerin Duding
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