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Klex in der Landschaft

Klex in der Landschaft

Titel: Klex in der Landschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Dundridge auf seiner Fahrt den festen Eindruck gewann, die Einheimischen seien gegen die Planungen. Doch Dundridge wäre auch ohne die Slogans beunruhigt gewesen. Der Cleenewald war wilde Natur. Es fehlte die Ordnung, die Dundridge in Middlesex so beruhigend fand. Die Hecken waren verwildert, die wenigen Bauernhäuser, an denen er vorbeikam, wirkten wie Relikte aus dem Mittelalter, und im Wald standen dicht an dicht große, klotzigknorrige Bäume, unter denen Farngestrüpp wucherte. Als die Straße in ein offenes Tal voller Hecken und kleiner Felder führte, wurde ihm leichter ums Herz. Die Atempause war jedoch nur von kurzer Dauer. Auf dem nächsten Hügel kam er zu einer Kreuzung, an der nichts Informativeres als ein morscher Galgen stand.
    Dundridge hielt den Wagen an und konsultierte seine Karte. Wenn seine Berechnungen stimmten, ging es links nach Guildstead Carbonell, während die Schlucht und Haus Handyman geradeaus lagen. Dundridge war das gar nicht recht. Vor ihm war der Wald dichter als vorher und die Straße mit weniger Schotter beschichtet; den Mittelstreifen bildete ein durchgängiger Gras- und Moosbewuchs. Nach anderthalb Kilometern begann er sich zu fragen, ob die Karte ihn in die Irre geführt hatte, als sich die Bäume plötzlich lichteten und er in die Schlucht hinabblickte.
    Er hielt an und stieg aus. Unter ihm, zwischen brombeer-, efeu- und schlingpflanzenbewachsenen Felsen, floß der Cleene. Vor ihm lag Haus Handyman – ein Konglomerat aus Quadern und Backsteinen, Balken, Fliesen und Türmchen, ein Monument all dessen, was in der englischen Architektur am eklektischsten und unattraktivsten war. Für Dundridge, den überzeugten Funktionalisten, war es ein Alptraum. Ruskin und Morris, Gilben Scott, Vanbrugh, Inigo Jones und Wren, um nur einige zu nennen, hatten Pate gestanden für ein Gebäude, das die Nützlichkeit eines Wasserturms mit der Gemütlichkeit eines Bahnhofswartesaals verband. Ein nur wenige Morgen großer Park und eine Mauer umgaben das Haus, und jenseits der Mauer lag eine dicht bewaldete Hügelkette. Der ganzen Szenerie entströmte das Gefühl von Vereinsamung. Irgendwo im Westen gab es vermutlich Städte und Häuser, Läden und Autobusse, aber Dundridge hatte den Eindruck, er stünde am Rande der Zivilisation, falls er sie nicht sogar schon hinter sich gelassen hatte. Mit dem beklommenen Gefühl, sich dem Unbekannten auszuliefern, stieg er wieder ins Auto und fuhr weiter, den Hügel hinunter und in die Schlucht. Bald darauf kam er zu einer kleinen eisernen Hängebrücke, die klapperte, als er drüber fuhr. Auf der anderen Seite wurde durch die Bäume hindurch etwas Großes, Seltsames und Bedrohliches sichtbar. Es war das Pförtnerhaus. Dundridge hielt und gaffte das Gebäude mit offenem Mund durch die Windschutzscheibe an. Das 1904 zur Feier des Besuchs von Eduard dem Siebten erbaute Pförtnerhaus war, aus Ehrfurcht vor des Königs Frankophilie, dem Arc de Triomphe nachempfunden worden. Es gab allerdings Unterschiede: Das Pförtnerhaus war etwas kleiner, und sein Fries stellte keine Schlachtszenen dar; aber davon abgesehen war die Ähnlichkeit frappierend, und die Existenz dieses Baus im Herzen von Worfordshire bewies in Dundridges Augen ein für allemal, daß der Erbauer von Haus Handyman ein architektonischer Kleptomane gewesen war. Vor allem zeugte dieser Pförtnerbogen von einer hochmütigen Arroganz, die, so kurz nach Lord Leakhams Gefühlsausbruch, ein taktvolles Vorgehen noch viel notwendiger machte. Während er noch das Gebäude betrachtete, fiel Dundridge seine Aufgabe wieder ein. Er mußte unbedingt eine Art Kompromiß finden, um nicht in eine äußerst unangenehme Situation zu geraten. Wenn die Strecke über Ottertown nicht in Frage kam, was man ihm von höchster Stelle mitgeteilt hatte, und wenn die Schlucht ... Was die Schlucht betraf, so gab es kein Wenn und Aber, davon war Dundridge inzwischen überzeugt; also war eine dritte Strecke dringend erforderlich. Nur gab es keine dritte Strecke. Dundridge stieg in seinen Wagen und fuhr nachdenklich durch den großen Bogen. In diesem Augenblick tauchte vor seinem inneren Auge die dritte Streckenführung auf. Ein Tunnel. Ein Tunnel durch die Cleene-Berge. Für einen Tunnel sprachen seine Einfachheit, seine Direktheit und – was am allerwichtigsten war –, daß er diese scheußliche Landschaft unberührt ließ, die so viele zornige und einflußreiche Bürger aus unerfindlichen Gründen schützten. Damit gäbe es keine

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