Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)
soll er auch dazu sagen? Ich kippe meine Neurosen über ihm aus und erwarte umgehend eine sinnvolle Antwort? Ja! Wenn er mich mögen würde, dann hätte er erkannt, wie schwer mir das gefallen ist, und würde mir jetzt antworten. Selbst wenn er das alles anders sieht und es ihm zu schnell geht. Das ist respektlos!
Ich versuche zu schlafen, also wälze ich mich rum, starre noch ab und an auf meinen kleinen Bildschirm und warte. Ich muss schlafen, ich darf mich nicht verrückt machen, ich …
Der Wecker klingelt. Ich habe ein paar Stunden mit wilden Träumen voller Blödsinn hinter mir. Ich blicke auf mein Telefon. Eine E-Mail. Von ihm. Sie ist da. Jetzt. Panisch tatsche ich auf dem Display herum, um die Mail lesen zu können.
»Kein Problem. Einfach passt.«
Das ist alles? Wirklich? Ich schütte ihm mein Herz aus und dann das? Ich komme mir vor wie in einer sehr schlechten Romanze. Jetzt sind wir also auf dem Level, wo wir uns verhalten wie billige Kopien von typischen Geschlechterrollen in Hollywoodfilmen. Mir wird schlecht. Eine Mischung aus Peinlichkeit und Übelkeit, ja Scham überkommt mich. Ich antworte nicht. Ich kann nicht. Was auch? Oder doch? Wie in Schockstarre glotze ich auf den Bildschirm. Was soll ich denn jetzt tun? Erwartet er eine Antwort? Was kann man denn dazu noch sagen? Soll ich? Will er das? Da klingelt es an der Tür.
»Ich dachte mir, dass es einfacher ist, wenn ich dir ins Gesicht sage, was ich von deiner Mail halte.«
Ich starre ihn an. Und dann reden wir. So von Angesicht zu Angesicht. <3
Ich ist relativ, oder: Wie ich lernte, eine Identität zu erfinden
tl;dr: Im Internet kann jeder der eigenen Persönlichkeit entkommen. Gleichzeitig ist es schwer zu wissen, mit wem man es zu tun hat, auch oder gerade bei sich selbst.
Das Erfinden von Identitäten war immer Teil meiner digitalen Existenz. Es war zuerst chloe.f.f.w, dann jade, die den beängstigenden Existenzialismus verarbeiten und auf die Überforderung durch den Konstruktivismus in Jostein Gaarders »Sofies Welt« reagieren mussten. Wenn mein Geist alles ist, ja, alles und nichts!, dann bin ich nichts als eine Konstruktion meiner selbst, meine Welt eine Konstruktion meines Geistes. Diese Annahme bestätigt sich für mich bis heute jeden Tag in den digitalen Sphären. Am Computer war und bin ich Gott.
Die Freiheit der Anonymität, der Identitätskons truktion, der gelebten Selbstbestimmtheit ist vielen Menschen unheimlich. Sie beäugen das Internet mit Argwohn und nicht zuletzt mit Angst. Eine falsche Identität angeben? Verstößt das gegen Gesetze? Kann ich mich damit strafbar machen? Was ist, wenn jemand meine Identität klaut? Bin ich nicht besser geschützt, wenn ich keinen Computer besitze? (Spoiler: Nein.)
Der digitale Spiegel zeigt dir deine Abgründe, lässt dich an dir zweifeln. Und du kannst nichts dagegen tun. Nicht, weil du etwas Verbotenes tust, sondern weil du erkennst, wie ähnlich du anderen Menschen bist, wie austauschbar. Das kann grausam sein. Einige verkraften das nicht.
Und vielleicht bekämpfen sie das Internet auch deswegen: Es fordert ihren Willen zur Freiheit heraus und offenbart das mächtige Bedenkenträgertum, das ihr bisheriges Leben beeinflusst hat. Wenn auch manchmal positiv. Deswegen wollen sie das Internet kaputt machen.
Sie wollen uns zwingen, echte Adressen anzugeben, indem sie unsere Eingaben mit GPS -Daten abgleichen. Sie wollen überprüfen, dass echte Menschen ihren Service benutzen. Als ob jemals nicht Menschen hinter einer Nutzung stehen könnten. Sogar hinter automatisierten Programmen stehen Menschen, die die Ergebnisse dieser Programme dann nutzen. Unsere Freiheit wird kriminalisiert. Von Unternehmern, Politikern, Lehrern, Eltern, Großeltern und vielen anderen. Von allen, die durch sie ihre Geschäfts grundlage, die Gesellschaft oder gar die Menschheit bedroht sehen.
chloe.f.f.w und auch jade haben ungezählte Identitäten erfunden. chloe.f.f.w baute am Computer hingebungsvoll virtuelle Städte und Jahrmärkte, die sie anschließend genauso genießerisch zerstörte. Sie war Mafiaboss, Barbie und Monsterjäger, Hotelbesitzer, ein kleines grünes Krokodil und Herrin über virtuelles Leben und Tod. Sie träumte von der Inneneinrichtung ihrer Restaurants in dem Spiel » Pizza Connection « und weinte, wenn ihr gegnerische Banden Giftgasbomben in ihre über Stunden liebevoll ausgestatteten Laden lokale warfen. Gleichzeitig übte sie erbarmungslos Rache, lachte und freute sich über den
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