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Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)

Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)

Titel: Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Schramm
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Aber das stimmt nicht: bei Facebook bestrahle ich sie vielmehr mit meinem Leben, das ich für die kleinen, begrenzten Statusnachrichten aufarbeite.
    Und Menschen, die du bereits kennst, werden durch ihre Statusnachrichten bei Facebook nicht unbedingt interessanter. Schlimmer noch: meistens liest du plötzlich die politische Meinung von jemandem, mit dem du bisher ungezwungen Spaß hattest beziehungsweise glaubtest, diesen gehabt zu haben. Niemals wollte ich wissen, dass meine gute Freundin aus der Schule zu Guttenberg mag. Wir haben uns damals nur über Jungs unterhalten, aber dass sie Sozialhilfe abschaffen will, lässt mich an der Vergangenheit zweifeln und an meiner Menschenkenntnis. Es ist mir unangenehm. Ich möchte das nicht lesen, sehen, wissen- und das, ob wohl es in unserer kulturellen Kodierung liegt, dass wir gerne viele Freunde haben. Große Cliquen sind ein Statussymbol, Netzwerker gelten als erfolgreicher. Die sozialen Netzwerke entsprechend zu bauen und mit Freundschaft zu assoziieren, ist maßgeblich geworden für das, was man heute Erfolg nennt. Freunde sammeln, archivieren, beobachten, vorzeigen. Ein virtuelles Poesiealbum.
    Es ist Selbstbetrug, sich einzureden, nicht alleine zu sein, schießt es mir durch den Kopf. Freundschaft ist der lebenslange Versuch, eine Gemeinschaft zu schaffen, eine Gemeinschaft des Denkens und Lachens, des Redens und Schweigens, eine Gemeinschaft des Geistes. Maya und ich machen es uns nicht leicht. Seit Jahren sind wir befreundet, offline und online. Der Spiegel, den sie mir vorhält, blendet und schmerzt und ist manchmal schwer zu ertragen. Und doch setze ich mich dem aus, auch um mich selbst in ihr zu erkennen.
    Ihre Ignoranz gegenüber den Problemen dieser Welt belastet mich so sehr, wie sie mich verführt. Mit ihr kann ich meinen Weltschmerz vergessen, in der Verzweiflung über die Welt als ewiges Hamsterrad er scheint die Flucht in die Subjektivität charmant, ja verwegen. Wer traut sich denn schon zu sagen, dass die anderen Menschen irrelevant für die eigene Lebensplanung sind? Maya traut sich das – auf ihre naive und trotzige Art, die Welt gerade nicht zu verstehen. Sie versteckt sich hinter Kaschmirpullovern und Opernbesuchen (obwohl sie von Oper keine Ahnung hat), die ihr eine seltsame Sicherheit geben, so in der Welt zu leben, wie es ihr richtig erscheint: frei und selbstsüchtig. Auf die Bewunderung folgt jedes Mal der Moment der Ernüchterung, in dem mir die Tatsache, dass dieser Strudel der Ignoranz mich packen konnte, wie eine Bankrotterklärung meines Geistes vorkommt. Dann beginnt die Entfremdung von Maya und ich krame mein idealistisches Ich wieder hervor und greife sie an. An diesem Punkt wird das Internet regelrecht zum Feind unserer Freundschaft, weil digitale Kommunikation, das, was wir ohnehin schon schwer ausdrücken können, oft zusätzlich und unnötig verzerrt. Manchmal sitze ich vor dem Bildschirm und schreie laut angesichts dessen, was Maya mir abermals um die Ohren tippt. In das Fenster des Chats schreibe ich jedoch einen Satz, der mich abgebrüht wirken lässt, versehen mit einem grinsenden Smiley ;-) – kein Smiley provoziert stärker durch seine Selbstherrlichkeit. Kein Smiley täuscht Desinteresse besser vor. Kein Smiley drückt unsere zwanghafte Ironie besser aus. Nichts ist so gemeint, wie es geschrieben wurde. An alles kommt der alles relativierende Smiley. An alles. Mit diesem Smiley mache ich mich unangreifbar, ich stelle alles infrage, meine nichts so, wie ich es sage. Dieser Smiley ist mein Schutzschild, hinter dem ich alles sagen kann, was mich umtreibt: jede Bösartigkeit, jede Frechheit, alles Verletzende. Ich kann all das sagen, was ich mich ohne Smiley nicht traue. Und dank Smiley merkt mein Gegenüber nichts von meinem emotionalen Ausbruch, sondern liest nur einen Satz, der ebenso cool wie verletzend gedacht ist und an dessen Ende dieser hochnäsige Smiley steht. Habe ich anschließend erreicht, was ich wollte – Maya lässt nun ihrer Cholerik freien Lauf –, sitze ich mit einem strammen Hauch der Genugtuung vor den wild auf meinem Bildschirm aufspringenden Buchstaben. Wird es mir zu viel, klappe ich den Laptop einfach zu und stelle mir die tobende Maya in einem Käfig vor, denn ihre Wut kann mich nicht von Angesicht zu Angesicht erreichen. Dass sie mich dennoch immer trifft, muss sie ja nicht wissen.
    Dass eine Freundschaft im Netz durchaus funktionieren kann, beweist meine rein digitale Freundschaft mit Junto. Ich

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