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Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)

Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)

Titel: Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Schramm
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Verzweiflung, »du beherrschst die Maschinen nicht. Hast du noch nie. Und deswegen müssen wir uns die Macht über die Maschinen zurückholen. Aber das geht nicht auf diesen Kisten, die dich der Kreativität berauben. Irgendwann wird es nur noch Kaufprogramme geben. Selbst wird es keiner mehr machen, außer ein paar Codemonkeys im Keller der großen Konzerne, stattdessen werden sie sich alle dem Konsum von Applikationen hingeben. Es widert mich an. Und warum? Wegen Faulheit, wegen Dummheit, wegen Komfort!«
    Ich nicke, wobei ich nicht weiß, ob aus reiner Erschöpfung oder aus Angst, ihre Gunst zu verlieren. Ich bewundere sie und ihre politische Arbeit. Auch wenn mich ihre Panik manchmal daran zweifeln lässt, ob die Unmengen Science-Fiction-Filme der 80er Jahre ihr gutgetan haben. Sie kann jetzt nicht mehr aufhören zu reden:
    »Es tut doch sonst niemand was! Die Konzerne bauen das Netz in eine Mall um und dealen mit den Daten. Die Staaten wollen entweder den Zugang sperren oder handeln im Sinne der Konzerne. Wir sind verdammt noch mal ausgeliefert, Scheiße. Und keiner tut was! Wo sind denn all die Klickdemonstranten in Brüssel? Hundert Hansel stehen da rum und halten Plakate hoch, die sie mit Edding bemalt haben. Aber das nutzt nichts, wenn Hunderte von Millionen ihre Fratze mit der Fratze anderer verbinden und zusehen, wie ihre Daten zur digitalen Währung werden. Und dann kaufen sie Bubble Tea , weil es ihnen die Werbung sagt.«
    Sie schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, dass es klatscht.
    »Gleichzeitig teilen die großen Player die Infrastruktur unter sich auf, sie führen einen Informationskrieg hinter unserem Rücken. Und wir tippen fröhlich Smileys in die Tastatur und drücken hässliche blaue Daumen , wenn jemand schreibt, dass die Revolution in den sozialen Netzwerken verkündet wird. Ich sage dir eins: Das Internet entpolitisiert die Gesellschaft!«
    »Ich denke, wir brauchen eine Art digitalen Imperativ: Handle im Internet stets nach dem Bewusstsein, dass deine Daten dir und deinem Selbstbild zugerechnet werden können. Und ist es nicht erstrebenswert, dass Menschen sich in 140 Zeichen äußern, sei es noch so trivial, statt ihre Zeit vor dem Fernseher zu verbringen mit inszenierten Realitätsemulatoren ?«
    »Du glaubst doch wohl nicht, dass dieser Wohlfühl-Aktivismus irgendwas bringt? Wir können nicht mit ein paar Klicks auf unnütze Petitionen die Welt retten! Und Überraschung: Mit einem like -Klick unter Rettet-den-Regenwald wird dieser auch nicht gerettet! Aber bitte, verrate es keinem.«
    Ihre süffisante Art macht mich wild. Ich möchte ihr für ihre selbstgerechte Art Schmerzen zufügen.
    »Wir brauchen einen Systemwandel, einen grund legenden und nicht so ein bisschen in Klicki-Bunti schreiben, dass der Bundespräsident doof ist! Und wenn es denn dabei bliebe, dass sich 2.0-Prolls über irrelevante Dorfpolitiker ärgern. Aber nein, das ufert ganz schnell aus. Und dieser ganze Datenexhibitionismus. Das grenzt an Umweltverschmutzung. Menschen, die ihr komplettes Leben freiwillig auf Plattformen auspacken, auf denen sie mit ihren Daten bezahlen, sind einfach nur verwöhnte Blagen, die noch nie in einer prekären Situation waren. Meine Erfahrung. Sie treten ihre Privatsphäre mit Füßen. Und warum? Weil sie es können! Und meist ist es doch furchtbar lang weilig, was sie zu sagen haben. Weder interessiert mich ihr Frühstück noch die sonstigen Tagesaktivitäten. Wieso posten sie das? Wieso postest du das? Ich meine, du gibst doch auch jeden uninteressanten Kram von dir preis und machst dich zum Objekt der Marketingindustrie!«
    Recht hat sie. Das sage ich aber nicht:
    »Ich sehe das anders. In deinem Profil, auf deinem Blog, wo auch immer, hast du die Macht, du entscheidest über dein Auftreten. Du hast ein Sprachrohr, eine Möglichkeit, die Welt zu beeinflussen, sozusagen. Wer weiß, vielleicht ist genau deine Nachricht oder dein Blogpost so treffend, so beliebt, dass deine Worte wirklich Einfluss ausüben. Außerdem verlangt die Ökonomisierung des Individuums von dir ein sauberes Identitätsmanagement, einen geraden Lebenslauf, rationale Karriereentscheidungen. In den sozialen Netzwerken kannst du das toll inszenieren, auch wenn dein echtes Leben das vielleicht gar nicht hergibt. Ist ja kein Wunder, dass bei Xing alle Rotwein trinken und Klassik hören. Klar würde ich mir wünschen, dass sich alle Menschen der Kapitalismuskritik hingeben, aber verlangen kann ich das nicht.

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