Klingenfieber: Roman (German Edition)
strotzend, voller Wohlbefinden und Zuversicht. Hier draußen fiel ihm ein, wie das Lied hieß, das Ladiglea gesummt hatte und dessen Melodie ihm noch immer im Kopf herumgeisterte: Am Ende jedes Tages nehm’ ich dich in meine Arme. Ein Schlaflied aus Kindertagen.
Erenis , seufzte er.
Nur mit ihr würde es noch schöner werden können.
Dank guter Pferde, die man an den Stationen vermittels der Rittrichtervollmachten immer wieder austauschen konnte, würde es ein Leichtes sein, zusammen mit den fünf Verfechtern, auf die er gegenüber dem Hohen Rat bestanden hatte, eine Kutsche einzuholen.
Die Kutsche war sechsspännig, schwarz, stabil und geräumig genug für zehn Personen. Sie glich mehr einem Gefangenentransport als einer luxuriösen Reisegelegenheit. Obenauf saßen neben dem bärbeißigen Kutscher noch zwei Angeheuerte mit Armbrust und Bogen, die »ihre Geschosse ausführten«, wie man das nannte, wenn auf dem Dach hinter Holzrahmungen in Deckung Gehende mit Reichweitenwaffen die Umgegend absicherten. Auf dieser Reise würde es auch durch nicht ungefährliches Terrain gehen. Unter anderem durch beunruhigte Wälder. Deshalb hatte der Wagenhalter die Kosten für die beiden Angeheuerten in Kauf genommen, um die Sicherheit seiner gut bezahlenden Stammfahrgäste gewährleisten zu können.
Diese Reise war eigens zu den Festspielen von Brendin Grya angemietet worden, keiner der Passagiere hatte ein anderes, auf dem Weg dorthin liegendes Ziel. Dennoch gab es unterwegs elf Kutschstationen zu passieren, in denen man sich die Beine vertreten, essen und auf einfachen, aber sauberen Lagern nächtigen konnte.
Mit beachtlicher Geschwindigkeit ratterte die Kutsche Tag um Tag durch zunehmend ausgedörrter werdendes Land und wirbelte hinter sich eine zehn Schritt hohe und dadurch weithin sichtbare Staubfahne auf. Je näher der Weg den Offenen Ländern entgegenführte, desto zerklüfteter und unbehauener wirkte die Gegend. Im Inneren saßen die Passagiere zusammengepfercht auf kissenbezogenen Holzbänken und hielten sich während besonders ruckeliger Strecken an von der Decke baumelnden Haltekordeln fest.
Um sich die weitgerühmten Festspiele von Brendin Grya zu betrachten, waren drei hochstädtische Ehepaare unterwegs, die vor Ort auch das eine oder andere lukrative Geschäft zu tätigen suchten.
Zum einen der Weinhändler Loso nebst seiner Frau Gemahlin. Er war von stämmigem Wuchs, trug einen ballonhaft geschwellten Bauch zur Schau und darüber ein gerötetes Gesicht mit grau meliertem Backenbart. Seine Frau, groß, starkknochig, resolut, mit lauter Stimme und von schneller Entschlussfähigkeit, war die Ordnung und das Zahlenbewusstsein seines nicht gerade für seine hohe Rebenqualität bekannten Geschäftshauses.
Weiterhin der Spinnereibesitzer Carelamadon, der sich für eine würdevolle Respektsperson hielt, nebst seiner deutlich jüngeren Frau, die sehr klein, sehr zierlich, sehr hübsch in die Pelze seltener Tiere gekuschelt war und mit wehleidigem Blick die vorüberzerrende Landschaft ringsum betrachtete.
Ferner der Graf und die Gräfin Ubert Debrevi, er bejahrt und von fabelhafter Haltung, sie vor in der Leibesmitte zusammengeschnürter Vornehmheit kaum zu einem Wort an ihre Mitreisenden bereit. Beide waren in dunkle, vielschichtige Stoffe gewandet und versuchten die ganze Reise über, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie unter der Hitze litten und schwitzten.
Des Weiteren eine Tempelschwester, die fortwährend mit lautlos sich bewegenden Lippen zu beten schien. Sie trug einen hübschen, durch Krankheit gezeichneten Kopf auf schwindsüchtiger Brust, die ausgehöhlt schien vom verzehrenden Glauben, wie er Opferbereite und Schwärmgeister hervorbringt.
Dann ein kleines, rundliches, aber durchaus appetitliches Mädchen von unverkennbar käuflichem Gewerbe, das nach Brendin Grya unterwegs war, um dort zu »arbeiten«. Ihr Gesicht glich einem Apfel oder einer eben im Erblühen begriffenen Knospe, mit zwei von langen, dichten Wimpern umschatteten Augen und einem winzigen, feuchten Küssmund mit noch winzigeren Zähnen.
Zuletzt Erenis und Stenrei, die während dieser Reise dicht an dicht nebeneinandersitzen mussten, was Stenrei außerordentlich gut gefiel, Erenis jedoch nicht im Geringsten. Bei jedem Halt, jedem Auskundschaften des oftmals mit Geröll übersäten Weges, jedem Tränken und Ausruhen der Pferde, sogar bei jeder Verlangsamung auf Schritttempo schälte sie sich aus dem Kutscheninneren und ging
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