Klingenfieber: Roman (German Edition)
Gelegenheit zu warten, wagten aber nicht, ihr das offen ins Gesicht zu sagen, sondern murrten und knurrten herum wie schwächlich geratene Aasfresser, die es gewöhnt sind, erst den Größeren die Brocken überlassen zu müssen.
Der Kutscher schnupfte, spie und fluchte den ganzen Tag, sodass Frau Carelamadon angesichts seiner unflätigen Ausdrücke beinahe ohnmächtig wurde, redete ansonsten nur mit seinen Pferden, verachtete die beiden Angeheuerten und kümmerte sich keinen Deut um seine Fahrgäste.
Sein Leben fand ein jähes Ende, als sie zwischen der achten und neunten Station einen der befürchteten Wälder passieren mussten.
Die beiden Angeheuerten hinter ihren Wagendachverschanzungen achteten wirklich auf vieles, aber der Waldmann, der sich auf einem überhängenden Ast verborgen hielt, war einfach nicht zu erkennen gewesen. Er ließ sich auf das Dach der Kutsche fallen, gerade als diese unter ihm hindurchratterte. Die Angeheuerten waren mit ihren Schussgeräten auf derart kurze Distanz natürlich im Nachteil. Im Nu hatte er einen von ihnen mit einem aus einem Tierhorn geschnitzten Messerdorn durchbohrt, und zwar dermaßen heftig, dass die Spitze des Dorns sogar das Kutschendach durchdrang und – weil sie blutig war – unten mindestens fünf der Passagiere zum Kreischen brachte. Dem anderen zertrümmerte er beinahe gleichzeitig, also mit der anderen Hand, den Schädel mit einer Axt aus Feuerstein.
Der Kutscher fluchte und konnte gar nichts anderes mehr tun, als wenigstens das Gespann kontrolliert zum Stehen zu bringen, damit die Pferde nicht durchgingen und möglicherweise sämtliche Passagiere bei einem schweren Unfall ihr Leben verloren. Man hatte ihm das in seiner Ausbildung wieder und wieder eingebläut, die Passagiere so gut es eben möglich war zu sichern.
Als er sich umwandte, war der Waldmann schon über ihm. Er war klein und ausgemergelt, und sein Geschlechtsteil ragte in einem angebundenen Röhrchen in die Höhe. Sein Körper war bemalt mit Blättern und Farnen, was ihn aus der Blickrichtung des Kutschers vor dem Hintergrund der Baumwipfel beinahe durchsichtig aussehen ließ.
Der Kutscher spuckte noch aus und fluchte ganz besonders derbe, kurz bevor die Axt ihm das Gesicht ins Hirn trieb.
Der Waldmann schaute sich mit ruckartigen Bewegungen um, stieß ein durchdringendes Trillern aus, griff nach einem anderen überhängenden Ast, zog sich geschmeidig daran hoch und war verschwunden.
Der Durchbohrte war noch nicht ganz tot, seine Fersen scharrten richtungslos auf dem Kutschendach, aber das Leben verließ ihn, wie sein Blut ins Kutscheninnere rann.
Innen herrschte nach dem panischen Aufkreischen jetzt völlige Stille. Niemand wagte sich zu rühren. Alles atmete hechelnd. Man hatte die Geräusche des Tötens gehört und erwartete jetzt einen Ansturm. Ein Ende. Aber nichts passierte.
Blut tropfte zäh.
Die Tempelschwester haspelte Gebete.
Erenis war eingekeilt zwischen all den untätigen Leibern. Es bereitete ihr Schwierigkeiten, sich und ihr Schwert aus der Umklammerung der Nichtsnutze zu befreien, ohne jemanden unabsichtlich zu verletzen. Aber schließlich gelang es ihr. Sie öffnete eine der Türen und trat ins Freie.
Vögel zwitscherten. Blätter rauschten füllig im Wind. Die Bewegungen des Sterbenden auf dem Kutschendach waren zum Erliegen gekommen. Die sechs Pferde standen und nickten mit den Köpfen.
»Kommst du, Stenrei?«
Stenrei erschrak. Gleichzeitig jedoch rauschte ihm Hitze durch Herz und Gesicht. Wozu um alles in der Welt wollte sie ihn dabeihaben? Sie wusste doch ganz genau, dass er über keinerlei echte Kampferfahrung verfügte, auch wenn er täglich übte. Mit all ihren Kenntnissen hätte sie ihn zu einem wahren Meister ausbilden können, aber sie verweigerte ihm das nach wie vor. Gönnte ihm nichts, außer ihr zuzuschauen. Wie damals am Fluss. Sie war selbst schuld, dass er sie nicht wirklich unterstützen konnte. Also warum wollte sie ihn jetzt dort draußen bei sich wissen?
Wahrscheinlich war ein zweiter Kämpfer ihr nützlich, um die Aufmerksamkeit der Gegner zumindest teilweise von ihr abzulenken. Sie brauchte ihn als Köder, wohl wissend, dass sie sich nicht darauf verlassen konnte, dass er ihr den Rücken freihielt. Das war nicht gerade dazu angetan, ihm Mut zu machen.
Aber andererseits musste etwas geschehen. So, wie es sich angehört hatte, waren der Kutscher und seine beiden Begleiter umgebracht worden. Einfach so. Und sie alle standen nun herum wie ein
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