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Klingenfieber: Roman (German Edition)

Klingenfieber: Roman (German Edition)

Titel: Klingenfieber: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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entstehen, die ihr, der Einzelnen, immer zugutekam, die aber ihren Feinden in jedem Fall schadete.
    Endlich kam Brendin Grya in Sicht. Erenis hatte eine Stadt erwartet, aber es gab kaum einhundert Häuser.
    Mittelpunkt und Anziehungskraft des Ortes war ein gewaltiges steinernes Oval, eine Kampfbahn, die groß genug war, in ihr auch Pferderennen zu veranstalten. Die Häuser ringsum waren nichtssagend, niedrig und wie aus weißem Lehm gebacken, mit glaslosen Fenstern. Ab und zu ragten schmale Türmchen dazwischen auf, von denen aus Inspizienten versuchten, einen Überblick zu behalten, was aber sinnlos schien, denn eine wogende, grellbunte Zeltstadt blähte den Umfang des Ortes auf mehr als das Dreifache auf. Unter diese Planendächer konnten die Inspizienten von oben nicht blicken. Die Zeltwucherung beherbergte all die Tausende von Menschen, die nur wegen der Festspiele nach Brendin Grya gekommen waren. Dort wurde gehaust, gefeilscht, verglichen, palavert, begutachtet, zubereitet, gekostet, geschmaust, abgemacht, gewettet, geschmäht, gestaunt, übersetzt, aufgebauscht, bestritten, verabredet, verkauft, getauscht, gelogen, berichtet, verkündet, prophezeit, begehrt, verwehrt, gewährt, ausgerüstet, unter Druck gesetzt und übers Ohr gehauen. Man lernte sich kennen und schätzen oder beschloss, sich fortan aus dem Weg zu gehen.
    Schon von Weitem war ersichtlich, dass es in dem Oval bereits hoch herging. Es sah aus, als wären die Festspiele turbulent im Gange, aber eigentlich sollte das fünftägige Spektakel erst morgen beginnen.
    Der Graf schnalzte genüsslich mit der Zunge. »Ah, das unvergleichliche Aroma der Erwartungen. Morgen ist die Runde des Volkes, und alle, die teilnehmen wollen, tummeln sich schon jetzt auf der Kampfbahn und versuchen, sich die besten Plätze im Sand zu sichern.«
    »Was ist die Runde des Volkes?«, fragte Stenrei, indem er seinen Kopf wie eine Fledermaus von oben ins Kutschenfenster hängen ließ.
    »Ein großer Wettkampf, bei dem alle Menschen sich gegenseitig auf das Deftigste mit Holzstangen verdreschen. Diejenigen, die am längsten stehen bleiben, qualifizieren sich für die weiteren Spiele, bei denen man eine Menge Münzen verdienen kann.«
    »Und was muss man machen, um bei dieser Runde des Volkes mitmischen zu können?«
    »Nun, jeder darf teilnehmen, gegen eine kleine Gebühr, versteht sich. Aber Voraussetzung ist bedauerlicherweise das erforderliche Mindestalter.«
    »Ich habe ja wohl bewiesen, dass ich das habe. Leider sehe ich jünger aus. Könntet Ihr mir vielleicht ein Schreiben ausstellen, das …«
    »Nun, die Runde des Volkes ist nicht ungefährlich, auch wenn dort nur mit Holz …«
    »Gefährlicher als ein Überfall der Waldmenschen?«
    »Nein, das mit Sicherheit nicht. Also gut, ich werde dir behilflich sein.«
    Der Fledermauskopf gab das Fenster wieder frei. Stenrei hatte keinerlei Erfahrung mit Holzstangen, so, wie er vor Kurzem noch keinerlei Erfahrungen mit einem Bogen gehabt hatte, und so, wie er vor Kurzem noch keinerlei Erfahrungen mit einem Schwert gehabt hatte – aber wenn jeder mitmachen durfte, was hatte er denn dann schon zu verlieren? Brendin Grya erschien ihm als geeigneter Ort, Erenis ein für alle Mal zu zeigen, was in ihm steckte.
    Aber ihm fielen noch weitere Fragen ein, deshalb spielte er doch wieder Fledermaus. »Was hat das zu bedeuten, dass die Leute sich schon einen Tag vor dem Wettkampf die besten Plätze im Sand sichern?«
    Der Graf erwies sich weiterhin als auskunftsfreudig. Es gefiel ihm, seine reichhaltige Lebenserfahrung an Jüngere weitergeben zu können. »Nun ja, es ist ein Gefecht jeder gegen jeden. Ein ziemlich unordentliches Getümmel. Und da gibt es natürlich vorteilhaftere und unvorteilhaftere Positionen innerhalb des Ovals. Einige schwören darauf, an einer Wand zu stehen, um zumindest den Rücken frei zu haben. Einige aber wollen gerade keine Wand in der Nähe haben, damit die Schwünge ihres Stabes nicht behindert werden. Jeder hat da so seine Vorlieben.«
    »Was würdet Ihr mir raten?«
    »Bist du denn ein geübter Stabfechter?«
    »Eher nicht.«
    »Dann Wand, mein Junge. Mit Entschiedenheit: Wand.«
    »Und die Stäbe bekommt man vor Ort?«
    Der Graf lachte. »Ja. An Stäben herrscht in der Runde des Volkes wahrlich kein Mangel. Vielleicht werde ich ein paar Münzen auf dich setzen, wenn du wirklich teilnimmst, mein Sohn.«
    Stenrei zog sich wieder nach oben zurück, denn das Blut stieg ihm zu Kopf. Die Anrede »mein Sohn«

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