Klingenfieber: Roman (German Edition)
abdrängen lassen. Lauter Kinder an einem meereslosen Strand, fest entschlossen, sich gegenseitig ihre Traumschlösser kaputt zu treten. Unter den Hunderten von Teilnehmern sah Erenis höchstens zehn, die tatsächlich imstande schienen, mit einem Kampfstab umzugehen.
Dann hatte sie Stenrei entdeckt. Wie er übte, Bewegungen machte, als hätte er ein Schwert in Händen, und wie ein Mädchen ihm half, nicht ganz so augenfällig alles falsch zu machen.
Nachdem sie ihn einmal gefunden hatte, musste Erenis ihn nicht mehr die ganze Zeit im Blick behalten, denn solange es noch nicht losging, würde er sich wohl nicht mehr viel bewegen. Ihr Blick schweifte nun über die Zuschauertribünen. Es gab etliche, die vermummt waren wie sie. Auch Frauen mit Schleiern, aufreizenden Netzen oder sogar Perlenketten vor den Gesichtern. Sie hoffte, dass Hektei nicht eine von diesen Vermummten war.
Sie fand einen der neuen Büttel des Rittrichters. Er war unverkennbar, stand in der Nähe des Haupteingangs und hielt ebenfalls Ausschau. Später entdeckte sie noch einen zweiten, weiter oben sitzend, beinahe nicht zu sehen. Sie waren also tatsächlich hier. Wo zwei von ihnen sich befanden, waren die anderen drei und der Rittrichter sicherlich ebenfalls nicht weit. Erenis lächelte hinter ihrem vor den Mund geschlagenen Tuch.
Dann die Ansprache des Offiziellen. Das Verwehen von Tönen in dem Oval war außerordentlich, sie verstand nur etwa jedes zehnte Wort. Die Zuschauer applaudierten dennoch, und auch von den Teilnehmern erscholl Beifall. Dann die Fanfare. Die Sandfläche unten explodierte augenblicklich zu brodelnder Hektik. Erenis kam es vor, als handelte es sich um eine Veranschaulichung des eigentlichen Wesens der Menschen. Erst versuchte jeder jeden anderen zu besiegen. Dabei scheiterten die meisten. Dann brach einfach nur noch Panik aus, weil von dort aus, wo wirklich geschickte Akteure ihre Werkzeuge tanzen ließen und alle Nachbarn dadurch zurückdrängten, sich unkontrollierbare Bewegungswellen bäumten. Wie Wehen sah das aus, die einen ovalen Leib durchbebten. Wie Welt- und Zeitläufe. Waldmenschen gegen Stadtmauermenschen. Barbaren gegen Gelehrte. Männer gegen Frauen. Alles lief immer auf dieselben Aufschaukelungsmuster hinaus. Es sei denn, man gehörte zu den ganz wenigen, die ihr Werkzeug beherrschten.
Erenis sah, dass Stenrei sich einigermaßen behauptete, aber hauptsächlich, weil das Mädchen ihm den Rücken freihielt. Sie kämpfte viel besser als er, aber niemand achtete auf sie, niemand nahm sie für voll. Die netteren unter den Männern wollten sie allenfalls beschützen und begriffen überhaupt nicht, dass sie währenddessen von ihr beschützt wurden. Es war wie immer und überall in dieser Welt.
Erenis schaute wieder den Zuschauern zu. Sie jubelten, feuerten an, ärgerten sich über ungeschickte Manöver oder wenn einer ihrer Favoriten zu Fall kam. Die gelb gekleideten Ordner schwärmten aus. Sie erinnerten an aus ältlichem Papier gefaltete Boote in einem schier überkochenden Tümpel.
Plötzlich erblickte Erenis Hektei.
Zuerst war sie sich nicht ganz sicher. Die Frau, die sie dort stehen sah, nicht weit von dem Rittrichtermann am Eingang, hatte einen kahl geschorenen Kopf und war sehr muskulös. Erenis hatte ihre »kleine Schwester« ganz anders in Erinnerung, schmaler, kleiner, mit zu Knoten gewundenen Haaren. Aber sie war es. Verändert. Weiterentwickelt. Fortgeschritten auf dem Weg der Kriegerin. Angetan in starrem, schwerem Leder mit Metallbeschlägen. Sie hatte sogar einen Helm, den sie abgenommen hatte und unter dem Arm trug, zum Glück, denn sonst hätte Erenis sie wohl nicht wiedererkennen können.
Hektei.
Die Augen schwarz umrahmt.
Die Lippen ebenfalls schwarz geschminkt in einem bleichen, harten Gesicht, welches das Bringen des Todes gewohnt war.
Erenis spürte eine Hand an ihrem Herzen, die noch stärker zudrückte als vor wenigen Tagen bei Ladiglea. Denn Hektei war nicht hilflos, nicht vom Leben niedergetreten und in die Abfallgrube geschleudert wie »die Freundin«. Hektei war besser geworden, stärker. Mit ihr konnte man reden. Mit ihr gemeinsam, Seite an Seite oder Rücken an Rücken sogar kämpfen. Gegen Männer. Gegen Ugon Fahus. Gegen alles, was aufgrund seiner unrechtmäßig erworbenen Großspurigkeit verdiente, ausgemerzt zu werden.
Erenis erhob sich. Viele Zuschauer erhoben sich, um besser sehen zu können. Das alleine fiel noch nicht auf. Wenn sie sich jetzt wegbewegte, weg vom
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