Klingenfieber: Roman (German Edition)
sich ihrer Beute sicher waren.
»Triff mich hier heute Nacht«, zischte Erenis ihrer Schulschwester zu, dann wandte sie sich mit schnellen, möglichst unberechenbaren Sprüngen einer kleinen Gasse zu, die hier von der Straße abzweigte. Nur weg aus den geraden Bahnen, sämtliche Winkel verkürzen. Fernwaffen nutzlos machen. Schwerter erzwingen.
Als sie in die Gasse tauchte, erstarrte sie.
Vor ihr, in nur zwanzig Schritt Entfernung, kniete einer der Schergen auf dem Boden, hatte die Armbrust auf sie angelegt und sie genau im Visier. Er war ihr in dieser Abzweigung zuvorgekommen.
Aber es gab keinen Ausweg mehr. Sich jetzt umwenden und zurücklaufen bedeutete, ihm den Rücken zu bieten und todsicher erschossen zu werden. Sie wollte nicht erschossen werden. Lieber nahm sie es mit den beiden Verfolgern im Schwertkampf auf. Aber sie hatte diese Wahl nicht. Sie war ihr abgenommen worden.
Sie musste alles aufs Spiel setzen. Weiter nach vorne. Projektil gegen Schwert.
Sie stieß einen Schrei aus und sprang auf den Anlegenden zu. Wenn er danebenschoss, hatte sie ihn. Wenn es ihr gelang, den Bolzen mit dem Schwert zur Seite zu schlagen, hatte sie ihn. Zum Nachladen würde er nicht mehr kommen.
Doch er schoss nicht daneben.
Klackend löste sich der mit einer eisernen Kegelspitze versehene Bolzen vom Lauf der Schusswaffe. Raste auf Erenis zu. Eine vor Geschwindigkeit kaum sichtbare Irritation der Gasse, der ganzen Welt.
Sie sah ihn. Verfolgte ihn. Berechnete ihn. Versuchte, ihm zuvorzukommen. Und schlug mit dem Schwert nach ihm.
Es musste möglich sein.
Eine Klingentänzerin musste in der Lage sein, eine Schusswaffe zu überwinden.
Der Versuch war eindrucksvoll. Erenis’ von Kindheit an von einem Kriegslehrer geschulten Reflexe ermöglichten ihr beinahe das Undenkbare.
Aber nur beinahe.
Sie berührte den Bolzen tatsächlich. Konnte ihn aber nicht abwehren, sondern ihn nur ablenken und in Drehung versetzen.
Der Bolzen prallte gegen sie in Höhe ihres Brustbeins. Zerriss dort ihren Kaftan. Die Spitze schrammte an ihrem bandagierten Gaumen vorüber. Durchschlug nichts. Bohrte sich nicht in sie. Der Aufprall des Gegenstandes jedoch erfolgte mit der Wucht eines Huftritts. Nahm ihr völlig die Luft, die Kontrolle. Schleuderte sie zurück. Unverwundet. Kein Blut. Aber aus dem Takt gekommen, hilflos für kostbare Augenblicke.
Sie sah aus einem schrecklich schiefen Winkel – denn irgendwie stützte sie sich zwischen einer Hauswand und dem Boden ab –, wie der Schütze langsam zurückging, von ihr weg, und nachlud, ganz ruhig. Genau berechnend. Je größer die Distanz war, die sie überwinden musste, um ihn zu erreichen, desto größer würde seine Chance auf einen neuerlichen Schuss sein.
Sie keuchte. Versuchte, die Einzelteile, in die sie zersplittert zu sein schien, aufzuklauben und zusammenzusetzen, vielleicht sogar zu etwas Besserem, noch Schnellerem als vorher.
Ihr Schwert. Ihr Schwert war noch immer in ihrer Hand.
Es musste mehr geschehen als ein Armbrustbolzen, um ihr das Schwert streitig zu machen.
Sie kantete sich hoch.
Hinter sich hörte sie Schritte. Die zwei, die herabgesprungen waren. Gleich waren sie da.
Sie machte noch einen Schritt auf den Nachladenden zu. Dieser war noch nicht so weit, aber er verlor seine Ruhe nicht. Er wusste, dass sie ihn nicht erreichen konnte. Um seinen Mund herum zuckte ein herablassendes Lächeln.
Was konnte sie tun?
Nur eines: den Kampf gegen die zwei aufnehmen und sie dabei so zu dirigieren versuchen, dass der dann Nachgeladene nicht zum Schuss kommen konnte. Eine Hauswand im Rücken. Schnell nahm sie diese Position ein. Der Schritt nach dort fühlte sich immer noch wie durch Gallert an. Der Bolzen hatte sie wirklich heftig erwischt.
Sie gewann zwei Momente, weil auch ihre beiden Verfolger ein wenig die Richtung ändern mussten, um sie nun vor der Hauswand zu stellen, aber diese beiden Momente brachten ihr nichts. Die Gegner waren auf der Hut, boten keine Blößen. Sie waren zu zweit, ihnen war klar, dass sie im Vorteil waren, solange sie sich nur nicht gegenseitig behinderten. Deshalb traten sie weit auseinander und griffen Erenis von schräg links und schräg rechts an.
Sie spürte die Wand hinter sich. Sie parierte. Mehr konnte sie nicht tun. Für eine Konterattacke ließen ihr zwei Angreifer weder Zeit noch Raum. Während mehrmaligem Hin und Her einzig und allein im Bereich des Abwehrens hoffte sie noch, dass die beiden Fehler machen würden. Oder auch nur einer
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