Klingenfieber: Roman (German Edition)
wenn – warum sollte sie der Niederbrennerin ihrer Schule denn überhaupt die Hand reichen?
Es war seltsam: Von allen Personen, die an diesem feindseligen Arrangement beteiligt waren, kam ihr direkter Fechtgegner ihr am gesichtslosesten und unwichtigsten vor. Seine Aufgabe bestand lediglich darin, sie am Entkommen zu hindern, sie festzuspießen wie ein einer Sammlung hinzuzufügendes Objekt. Aber selbst der greinend am Boden herumkriechende Rittrichter schien mehr Bedeutung auszustrahlen. Mehr Format zu besitzen. Denn immerhin hatte er den ganzen Schlamassel angerichtet.
Vier weitere Menschenleben waren verloschen. Wie in Kuntelt. Oder an der belagerten Hütte. Oder bei dem nächtlichen Überfall mit den Hunden. Oder als die Waldmänner nach der Kutsche griffen. Da waren es sogar doppelt so viele gewesen.
Oben auf dem Dach des sechsspännigen Gefährts hatte Erenis Stunden gehabt, in denen sie der Empfindung nachhing, ihrem todbringenden Umherkreisen einfach davonfahren und sich selbst entkommen zu können. Doch dann war der Rittrichter wieder aufgetaucht und hatte diese Hoffnung zunichtegemacht. Er würde niemals Ruhe geben. Selbst wenn man ihn erschlug, würde ein anderer nachfolgen, der sich ebenfalls Rittrichter nannte, und immer so weiter.
Fast ersehnte sie das erlösende Klacken.
Jeder Moment zerdehnte zu etwas, das einem Monat ähnelte.
Schließlich begriff sie, dass sie nicht sterben wollte, bevor sie nicht die Gelegenheit hatte, mit Ugon Fahus abzurechnen. Er musste älter geworden sein inzwischen, wohingegen sie nur immer besser geworden war. Sie rechnete sich ernstlich Chancen aus gegen ihn. Gegen den Anfang von allem. Sie wollte nicht getötet werden von einem gesichtslosen Sammler und einem nicht minder bedeutungslosen Handlanger, der immer nur zum Schießen den Mut aufbrachte.
Neeva rührte sich nicht. Die Zeit schien stillzustehen.
Dann tauchte Erenis ab. Sie machte sich ganz klein, kinderklein, brachte ihr Gesicht ganz nahe an den Unterleib ihres Gegners, als wäre sie eine Frau, die einem Mann eine intime Gefälligkeit erweisen möchte, parierte dabei weiterhin nach oben – und glitt zwischen seinen im Kampf auseinandergestellten Beinen hindurch hinter ihn.
Ugon Fahus hatte ihnen das beigebracht, als sie noch Kinder gewesen waren, ihnen allen. Wie sie mit ihrer Kleinheit einen Erwachsenen übertölpeln konnten und von vor ihm hinter ihn gelangen konnten in einer einzigen geschmeidigen Bewegung.
Natürlich war das jetzt viel schwieriger, denn sie und ihr Gegner waren beinahe gleich groß. Aber es ging, weil sie eine Tänzerin war und keinerlei steife Rüstung trug wie Hektei oder selbst diese Schergen, die fester gepanzert wirkten als sie. Sie trug nichts außer engem, nachgiebigem Leder und einem sich bauschenden Kaftan, der bereits zerschlissen war und Blut sog. Sie tauchte, und indem sie zwischen die Beine ihres Kontrahenten glitt, entging sie dem tödlichen Schuss.
Sie kam hinter ihrem Gegner sehr verdreht wieder hoch. Sie sah, wie auch er sich renkte, um sie dennoch zu erwischen. Er war für einen Mann sehr beweglich. Sie sah auch, wie die aufgelegte Bolzenspitze neu nach ihr fahndete. Sie hatte nur sehr wenig Zeit gewonnen.
Sie schnitt ihr Schwert aufwärts, und ihr Gegner brachte das Kunststück fertig, diesen Schnitt zu parieren.
Dann stieß sie ihn vorwärts, gegen den Schützen.
Es klackte.
Der Bolzen wurde nach vorne gesprengt mit der Gewalt eines Blitzes. In der Richtung leicht verrissen, aber immer noch auf Erenis zu. Dem Schützen gelang es, nicht seinen Kameraden zu treffen, sondern sein ursprüngliches, äußerst bewegliches Ziel. Aber er erwischte sie nicht mehr an der Stirn, sondern nur an der Schläfe, weil sie ihren Kopf auch noch schräg legte, alles gleichzeitig mit ihrem Stoß.
Der Bolzen ratschte durch ihre Haare, fetzte welche mit sich, schürfte sogar an ihrem Schädelknochen entlang, so nah war der Tod. Er raste vorbei und tötete nicht. Jetzt war der Weg frei, das sah sie ganz deutlich – und dennoch war in dem Bolzen eine Wucht, die sich ihr in den Weg stellte. Wie ein harter Hieb gegen die Schläfe. Sie musste das erst verarbeiten. Sie sah den Gestoßenen vor sich, seinen schutzlosen Rücken. Und der andere, der ihn nun wieder zu ihr zurückstieß, als wollte er ihn nicht haben, hatte seinen Bolzen verschossen und würde Zeit brauchen zum Nachladen. Beide waren nun bezwingbar.
Aber sie stand nur da wie vom Donner gerührt und fragte sich, ob der
Weitere Kostenlose Bücher