Klingenfieber: Roman (German Edition)
manchmal nur zehn Schritt, dann wieder zog er sich bis auf dreihundert Schritt auseinander. Die weiteste Entfernung beunruhigte Stenrei, die größte Nähe beunruhigte ihn ebenfalls, aber anders.
Gegen Mittag hielt er es nicht mehr aus und stellte seine Frage.
»Was ist eine Klingentänzerin?«
Sie zögerte erstaunlich lange mit ihrer Antwort. Fast wirkte es, als hätte Stenrei einen wunden Punkt berührt. »Eine Klingentänzerin … ist eine Frau, die bereits als Mädchen von Ugon Fahus ausgebildet wurde.«
»Diesen Namen hast du schon einmal erwähnt. Darf ich weitere Fragen stellen zu dieser Person?«
Wieder zögerte sie. »Nein«, sagte sie dann. Und Stenrei hatte das Gefühl, zum ersten Mal einen Bereich betreten zu haben, über den sie eigentlich Auskunft geben wollte , in dem ein Bedürfnis bestand, etwas mit ihm oder allgemein jemandem teilen zu können – nur eben noch nicht jetzt.
Er musste sich in Geduld üben, wenn er sich ihre Nähe nicht verscherzen wollte.
Trotzdem wollte er noch ausnutzen, dass ihre Antwort heute so knapp ausgefallen war. »Es handelt sich um eine Kampfausbildung?«
»Ja.«
»Mit genau diesem Schwert?«
»Ja.«
»Wie viele Klingentänzerinnen gibt es?«
»Viel zu viele Fragen.« Sie sagte das nicht unfreundlich.
»Stimmt«, lächelte er. »Tut mir leid.«
Er ging schneller, um zwanzig Schritt Abstand zwischen sie zu bringen.
Als sie dann Denklen erreichten, ging er wie immer in den letzten Tagen voran ins Dorf, um sich nach Bütteln umzuschauen, und als er zu Erenis zurückkam, um ihr mitzuteilen, dass sich in Denklen kein Unheil zusammenbraute, erhielt er unerwarteterweise doch noch eine Antwort. »Ich bin die letzte«, sagte Erenis und ging an ihm vorbei.
Er verstand erst nicht ganz, was sie meinte, dann gelang ihm die Verknüpfung mit der Frage, die er zuvor gestellt hatte.
Der Kampf in Denklen zog sich in die Länge. Der Gegner war ein schon recht alter Mann, der aber sehr versiert im Umgang mit zwei Dolchen war. Es gelang ihm viermal, Erenis’ Klinge zu parieren, und sie schien jedes Mal ein wenig zusammenzuzucken. Schließlich jedoch unterlag er, nach beinahe einer halben Stunde überwiegend taktischen Gefechts, ihrer Ausdauer. Sie trennte ihm die rechte Hand am Gelenk vom Arm und erstach ihn gleich darauf mit einem Vorstoß in seine Brust. Er stieß einen Schrei aus, der Stenrei durch Mark und Bein drang, und der auch die bis dahin atemlos stillen Denklener in große Unruhe versetzte. Bürger rotteten sich zusammen. Murrten. Zischten. Hielten Gegenstände in Händen. Ein zweites Kuntelt bahnte sich an.
Stenrei sah eine Gelegenheit, sich endlich nützlich zu machen, richtig nützlich, ohne Gaunerei.
Er hob beide Arme und sagte mit lauter, klarer Stimme: »Bleibt weg von ihr! Alles war rechtens, ich habe den ganzen Kampf mitangesehen!«
Eine alte Frau, vielleicht das Eheweib des Toten, streckte einen dürren Finger nach ihm aus: »Du! Du bist doch mit ihr gekommen! Du bist mit der Schwertteufelin im Bunde!«
»Ihr irrt Euch, gute Frau. Ich kam aus Richtung Laiheim. Die Kämpferin muss jenseits der Wege gekommen sein, denn erst kurz vor Denklen sah ich sie zum ersten Mal von Weitem.«
Das war alles kompliziert genug, um die Dorfbewohner zum Nachdenken zu bringen. Und Nachdenken bedeutete Innehalten im Rachenehmen. Sie diskutierten, wer von den beiden Denklen zuerst betreten hatte: der Schwert mann oder die Schwert teufelin . Für beides gab es Augenzeugen, was daran lag, dass Stenrei das Dorf zwar als Erster betreten hatte, dann aber wieder zu Erenis zurückgegangen war und diesmal ihr den Vortritt gelassen hatte.
Stenrei war guter Dinge. Sie nannten ihn einen Schwert mann . Es war das Schwert, das ihn zum Mann machte.
Erenis konnte unterdessen das Dorf unbehelligt verlassen.
Die Denklener diskutierten noch eine Weile lang mit Stenrei, bis er vor ihren Augen sein Schwert aus der Scheide zog, nicht, um damit zu drohen, sondern um es vorzuzeigen. »Seht, es handelt sich um eine einfache Waffe. Würde ich mit dieser Frau unter einer Decke stecken, hätte ich doch sicherlich ein ebenso beschriftetes Schwert wie sie, meint Ihr nicht auch?«
»Das besagt überhaupt nichts«, sagte ein junges Mädchen völlig richtig, aber die Dörfler hatten kein rechtes Interesse daran, ihren Unmut an jemandem auszulassen, der den Tod des Alten nachweislich nicht verschuldet hatte. Sie ließen ihn ziehen, wenn auch unter Drohungen, sich »hier nicht noch einmal blicken zu
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