Klingenfieber: Roman (German Edition)
dass sich unter den Schaulustigen niemand bewaffnete oder Steine in die Hand nahm. Und niemals ereignete sich so etwas, das mit dem Ablauf, dem Mühlrad in Widerspruch trat. Stenrei blieb unerkannt und sinnlos, und das fühlte sich beinahe gut an. Dennoch war er ein Bestandteil des Unheils, das über die Dörfer kam, und auch das fühlte sich beinahe gut an.
Hatte er etwa Hass in sich angereichert während all seiner Jahre in Bosel? Hass auf die Kläglichkeit dieser Menschen, die sich so sehr verbunden hatten mit ihren nur anhand ihrer Namen überhaupt zu unterscheidenden Orten, dass sie der Ort waren und der Ort sie, und beides nichts?
Er wusste es nicht.
Er wusste nur, dass er Fragen hatte. Fragen an sich, an Erenis, an alles Lebendige, noch Lebendige, bald schon Tote, und auch an alles Vergangene auf der weiten Welt.
Seine Frage des heutigen Tages lautete dementsprechend: »Wie ging das vor sich?«
»Wie ging was vor sich?«
»Deine Ausbildung. Zur Klingentänzerin.«
Jetzt passierte etwas Außergewöhnliches.
Sie schritten dahin unter einem blauen Himmel, den kleine Vögel durchflatterten, stachelbewehrte Insekten summten umher, Schmetterlinge torkelten wie Betrunkene. Kellerem und Loiwes mochten gleich weit entfernt sein. Die Welt war nur Straße, Wiesen, Brachland, Gräben und Feld.
Und Erenis begann zu erzählen. Erzählte so stet wie Wasser, das durch ein Mühlrad fließt.
»Es begann mit blauen Bändern.
Er wickelte sie mir um die Beine, weißt du? Von allen Mädchen in meinem Dorf wählte er nur mich, sah mich an, sehr ernst, sehr groß, und dann nahm er diese Bänder aus seiner Tasche und zeichnete mich damit aus. Und er sagte: ›In einem Monat von heute an werde ich dich mit mir nehmen, wenn du die Bänder dann immer noch trägst.‹
Einen Mann wie ihn hatte ich noch niemals zuvor gesehen. Keiner in unserem Dorf war mit so jemandem vertraut.
Er war in unser Dorf gekommen, ein Dorf wie jene, durch die wir zur Zeit ziehen. Es hatte nicht einmal einen richtigen Namen, ein in der Nähe befindlicher Wasserfall half, dass man es überhaupt wiedererkennen konnte. Das Dorf beim Fall. Auf der anderen Seite der Wälder, wo es wärmer ist als hier, ein wenig trockener noch, und wo manchmal im Sommer der Regen das Land mit einer Welle überspült, in der Pollen und Insekten treiben, und hinterher weiße Blumen blühen überall dort, wo die Welle hingelangt ist. Aber es war kein Sommer, es war sehr später Herbst. In den Nächten zitterte bereits Frost an den Ästen.
Er war ganz in Schwarz gekleidet. Nein, das stimmt nicht ganz. Sein Umhang, sein aus Leder und Eisen gewirktes Kettenhemd, seine Stiefel waren schwarz. Aber er trug einen grauen Gurt und Handschuhe, die beinahe dunkelblau aussahen. Und einen Helm, der sein Gesicht umschloss wie ein Käfig. Er nannte sich Ugon Fahus. Der Kriegslehrer . Er sprach mit unseren Männern, den Ältesten. Doch auf der Suche war er nach Mädchen . Man schüttelte den Kopf über ihn und fürchtete ihn, denn er trug nicht nur ein, sondern gleich zwei Schwerter am Gürtel. Mag sein, dass einer der Ältesten auf mich deutete, weil ich anders war als die anderen Mädchen. Weil meine Mutter anders gewesen war. Mag sein, dass Ugon Fahus mich also gar nicht aussuchte, sondern dass ich ihm gewiesen wurde, damit er mich mit sich nähme und das Dorf mich endlich los wäre. Aber das spielte keine Rolle für mich. Er schnürte meine Beine in Blau, schnürte sie fest, auch die Füße, machte sie klein, sodass es schmerzte, und sagte, einen Monat müsse ich die Bänder tragen, sonst würde er mich nicht mit sich nehmen.
Oh, wie ich zitterte. Aber nicht vor Furcht. Sondern vor Freude. Und etwas anderem, das ich damals nur als Vor freude begriff.
Du musst wissen, ich war erst sieben.
Nachdem er mich mit seinem Blau gezeichnet hatte, verließ Ugon Fahus unser Dorf. Um in anderen Dörfern andere Mädchen auszuzeichnen, aber das wusste ich damals noch nicht. Für mich war es, als wäre ich seine Braut. Die Braut des schwarzen Käfigritters.
Und jetzt fiel es mir leichter, auf die anderen nichts zu geben.
Ich war schon immer eine Außenseiterin gewesen. Eine Gemiedene. Das hatte mit meiner Herkunft zu tun. Die Dörfler nannten mich eine Tochter des Krieges . Da war es natürlich angemessen, dass ausgerechnet ein Kriegs lehrer mich für sich entdeckte. Es gab auch andere Lehrer, die durch Dörfer zogen. Einer lehrte Flötespielen. Einer das Zeichnen und Entziffern von Zeichen auf
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