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Klingenfieber: Roman (German Edition)

Klingenfieber: Roman (German Edition)

Titel: Klingenfieber: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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der Schrei erst wenige Stunden her. Er versuchte sich zu vergegenwärtigen, dass es in Loiwes, Kellerem und Dastnig in den kommenden Tagen frische Tote zu beweinen geben würde. Dass diese Orte noch nichts ahnten und in Frieden weiterschlafen könnten, falls es ihm gelänge, Erenis in eine nur geringfügig andere Richtung zu lenken. Aber ob mit oder ohne ihn – Erenis würde sich immer einen Weg bahnen. Dann eben durch andere gesichtslose Dörfer, um dort anderen Männern, die jetzt noch prahlten, ihr Leben zu nehmen. Alle diese Wege zeitigten immer dasselbe Ergebnis.
    Sie mochte die letzte, die einzige Klingentänzerin sein. Aber sie war dem Schicksal ähnlich. Wenn nicht sie, dann würden andere kommen. Vielleicht in Banden, vielleicht sogar gleich mit Feuer, keinen Stein auf dem anderen lassend. Vielleicht war sie das geringere Übel, hielt größeres Unheil fern. Das Los der Zeiten war es nicht, dass alles blieb, wie es war.
    Und dennoch trieb aus all seinem Nachdenken etwas Neues an die Oberfläche, etwas, das er bislang noch nicht zu denken gewagt hatte, das womöglich erst vom Funkeln der Sterne auf ihrem nachtblauen Weg angesteckt worden war: Was, wenn es meine Aufgabe ist, Erenis eines Tages zu bezwingen? Um all diese Dörfer vor ihr, und dadurch vor dem Schicksal, zu bewahren. Was, wenn ich ein Klingentänzer werden muss, der einzige männliche Klingentänzer, um die Tradition des Klingentanzes nicht fortzuführen, sondern zu beenden?
    Der Gedanke war schön in seiner Schrecklichkeit. Er sah für Stenrei eine Bedeutsamkeit vor, die er nur zu sehr begrüßen würde.
    Loiwes lag friedlich unter dem sichelförmigen Mond.
    Am nächsten Tag war großer Markt, deshalb war in dem einzigen Gasthaus, dem »Bannertrunk«, nur noch eine einzige Kammer frei. Stenrei wollte gerade anbieten, sich draußen in einem der Ställe einen Platz zu suchen, als Erenis die Kammer nahm, und zwar für sie beide.
    So nahe war er ihr seit der belagerten Hütte nicht mehr gewesen.
    Er konnte sie riechen, ihr Atmen hören, ihre Bewegungen im Schlaf, sie beinahe spüren, wenn er die Hand nur ein wenig streckte, die Finger, wie zufällig, dann berührte er schon ihre Hüfte.
    So dicht. Als sie träumte und sich ein wenig wand, wühlte ihn dies auf. Er wollte sich berühren, doch traute sich nicht. Wenn sie erwachte und ihn dabei erwischte, würde sie ihn töten oder mindestens für immer verstoßen.
    Er war verloren ohne sie, dermaßen weit nun schon von Bosel entfernt, dass er den Weg zurück gar nicht mehr finden würde.
    Er wollte immer so mit ihr sein, noch näher. Noch näher. Auf ihr sogar. In ihr. Als ihr Mann.
    Er wurde fast verrückt in dieser Nacht, während sie einfach nur schlief, als würde es ihn nicht geben. Als es dämmerte, war er den Tränen nahe. Und beinahe bereit, den Tod in Kauf zu nehmen. Vielleicht, so dachte er wie rasend, würde sie dann in Loiwes kein weiteres Opfer mehr brauchen. Vielleicht würde er genügen, und sein Ende wäre dadurch wenigstens zu etwas nütze.
    Doch er wagte es nicht, zumindest nicht in ihrem Raum. Im Dämmerlicht schlich er sich über den knarzenden Flur in die Abtrittkammer und verschaffte sich dort Erleichterung. Es ging nicht anders, er hätte den folgenden Tag sonst nicht überstanden.
    Ihr Frühstück war so wortlos wie ihre Nacht.
    Danach sprach Erenis ihre Herausforderung aus, das bunte Markttreiben dadurch um eine weitere Attraktion bereichernd. Der, der die Herausforderung annahm, war keiner aus Loiwes, sondern einer, der mit dem Markt gekommen war und ebenfalls im »Bannertrunk« genächtigt hatte. Er war ein Schausteller und unterhielt sein Publikum mit Schwertkunststückchen. So auch während seines Kampfes mit Erenis. Mehrmals erschrak die Menge vor Erstaunen, oder die anwesenden Frauen seufzten angesichts einer besonders galant anmutenden Verrenkung. Aber nach etwa zwanzigmaligem Hin und Her lag er tot in seinem Blut, und Erenis und Stenrei zogen unbehelligt weiter, ihren gestrigen Weg streckenweise zurückverfolgend, nach Kellerem.
    Stenreis Gedanken waren weiterhin am Rasen. Wie sehr hatte er sich mittlerweile an diesen Ablauf gewöhnt. In der Nacht hatte er noch Furcht empfunden, Furcht vor dem nicht wiedergutzumachenden Ergebnis von Erenis’ schrecklich schönem Tanz. Aber wenn es dann passierte, war es wie Wasser, das durch ein Mühlrad rauscht und etwas antreibt, das nicht aufgehalten werden will. Dann bangte er höchstens noch dem Ergebnis entgegen, achtete darauf,

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