Klingenfieber: Roman (German Edition)
an, hatte gar keine Muskeln und keine Widerstandskraft mehr, aber sie war es, sie war es unbestreitbar. Ihr damals immer langes und gezopftes Haar fehlte, aber ihr Atem war noch da, das Heben und Senken. Sie war noch am Leben. War gar nicht tot.
Für den Bruchteil eines Augenblicks erhielt Erenis einen Eindruck davon, dass das Leben ein Geschenk war und der Tod eine Unwiederbringlichkeit bedeutete, die im Grunde unverzeihlich war. Aber dieser Eindruck verflog, denn ihre frühere beste Freundin sprach.
»Sie haben gesagt, dass ich dreimal verloren habe, aber das stimmt nicht, Nissi, das ist gar nicht richtg, ich war nur noch nicht fertig. Die hatten so komische Regeln und sagten, das sei jetzt zu Ende, aber sie wissen doch gar nicht, dass bluten uns nichts ausmacht, dass wir geboren wurden, um zu bluten, weißt du nicht mehr, wie Ugon Fahus das immer gesagt hat? Ihr seid Mädchen, geboren um zu bluten und bluten zu lassen. Das Blut des Gebärens. Weißt du nicht mehr? Also bringen wir Leben hervor, während man uns tötet, und das muss man ihnen klarmachen, während man sie tötet!«
»Schhhhht, ist ja gut, La, nun beruhige dich ein wenig.«
»Aber die Zeit! Sie lassen einem so wenig Zeit, dann sagen sie schon, es ist vorbei und verloren, aber das bisschen Blut – schau!« Und sie zerrte ihr Papierkleid hoch und zeigte Erenis ihren nackten Bauch, der mehrere hässliche Narben aufwies. Schwerteinstiche. Schwerter im Bauchraum ihrer besten Freundin. »Da waren die drinnen, und da und da, aber dadurch ist doch noch lange nichts gewonnen, man hat mich betrogen, ich wollte noch weitermachen, aber man hat mir sogar das Schwert abgenommen. Und dir auch? Um Himmels willen, Nissi, hat man dir etwa auch dein Schwert abgenommen?«
»Nein, ich habe es nur vor der Tür lassen müssen, um dich besuchen zu können.«
»Lass dich nicht reinlegen, sie stehlen es und verwenden es falsch, und dann zerbricht es wie das von Hektei, deren Schwert ist nämlich zerbrochen, so unwahrscheinlich das ist.«
»Besucht sie dich auch manchmal?«
»Hektei? Nein. Sie ist beschäftigt. Sie kämpft noch, nicht wahr? Man hat ihr nichts weggenommen und sie zum Schlafen gezwungen. Vier Mann haben sich auf mich draufgesetzt, damit ich schlafe. Vier Mann. Sie wussten nicht, dass ich genug Blut in mir habe, um sie alle zu töten.«
»Und Neeva?«
»Neeva?«
»Hat sie dich schon mal besucht?«
»Nein. Sie ist mit ihm zusammen. Sie ist seine Frau, jetzt. Sie hat es geschafft.«
Ein Schauer rieselte Erenis’ Rücken hinab. Neeva und Ugon Fahus. Ja. Als sie alle noch halbe Kinder gewesen waren, war das ein naheliegendes Ziel gewesen: von ihm ausgewählt zu werden, noch einmal, wie an dem Tag, als er die blauen Bänder brachte und ihre Füße damit verschnürte, als Einziger von allen im Dorf. Aber diesmal nicht als eine von insgesamt sechzehn, sondern einzigartig ausgewählt zu werden, vor allen anderen ausgezeichnet, als seine Braut. In ihren Phantasien war der Gewinn eines Turnieres damit verbunden gewesen oder hatte immerhin die Chancen auf das endgültige Angenommenwerden beträchtlich gesteigert. Und Neeva hatte es tatsächlich geschafft. Sie war immer die Beste gewesen von allen.
Erenis fragte sich, wie sie selbst jemals so hatte denken können. Aber sie hatte so gedacht. Als sie klein und dumm gewesen war.
»Es wird bald vorbei sein, La«, sagte sie jetzt, nicht mehr klein und dumm. »Ich werde ihn umbringen, und dann wird es endlich vorbei sein. Wie ein Fluch, der gebrochen, der vom Land genommen wird. Bis dahin bist du hier am besten aufgehoben, aber wenn es vorbei ist, hole ich dich hier raus und wir gehen zusammen irgendwohin, wo die Luft frisch und das Wasser klar ist.«
Ladiglea schaute sie an, verständnislos. Langsam, jetzt erst, lösten sich ihre Körper wieder voneinander. »Aber das geht doch gar nicht, solange sie noch leben!«
»Von wem sprichst du denn?« Erenis konnte sich keinen Reim darauf machen, wen Ladiglea meinte. Sie selbst führte einen Feldzug gegen Männer, aber in Ugon Fahus’ Schule war niemals der Hass auf Männer gepredigt worden. Wen also sollte sie töten? Die Waldmenschen, die das Land beunruhigten? Aber hatte Ladiglea hier drinnen von den Befürchtungen draußen überhaupt etwas mitbekommen können?
»Von allen.«
»Wie – von allen?«
»Von allen Menschen.«
»Alle Menschen … töten?«
»Aber ja! Dazu wurden wir doch ausgebildet! So viele Jahre, Nissi, so viele Jahre! Wie konntest du
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