Klingenfieber: Roman (German Edition)
eine Tür weiter hinten. »Ladiglea. Unsere Klingentänzerin, nicht wahr? Mehr als das Viertel einer Stunde kann ich aber nicht erlauben zu dieser Zeit, die Schutzbefohlene findet sonst in der Nacht nicht wieder zu sich.«
»Das Viertel einer Stunde wird genügen. Stenrei, du wartest vor der Tür auf mich.«
Stenrei schluckte. »Ist gut.«
Die Bedienstete nahm einen Schlüssel von einem Brett, das in einer Wandnische hinter einem Vorhang verborgen war. Erenis merkte sich, an welchem Haken dieser Schlüssel zwischen einem Dutzend anderer gehangen hatte. Nur für alle Fälle. Dann schloss die Bedienstete auf. Innen war es vollkommen dunkel. Die Bedienstete händigte Erenis eine Laterne aus und entzündete sie. Das Licht tänzelte golden hinter Glas.
»Keine Waffen bitte, keine Ausrüstung, Gürtel, Schnallen, Schnürsenkel. Nichts, womit eine Schutzbefohlene sich oder anderen etwas antun könnte.«
Erenis legte alles Scharfkantige und Verschnürte ab und reichte es Stenrei. Anschließend betrat sie mit der Laterne in der Hand die kleine Kammer, und hinter ihr schloss die Bedienstete wieder ab. »Ich muss jetzt meine Runde machen. Im Viertel einer Stunde hole ich Euch wieder ab«, raunte die Bedienstete Stenrei zu und huschte in den Gang hinfort. Stenrei blieb unbehaglich an der Tür stehen und versuchte zu erlauschen, was drinnen vor sich ging.
Die Kammer wirkte von innen noch winziger als von außen. Die Wände schienen nicht ganz gerade zu sein, sodass es aussah, als schlössen sie sich um den Körper der darin Beherbergten herum, aber möglicherweise war dieser Eindruck auch nur dem schummrigen, unsteten Licht geschuldet.
In der Kammer gab es nichts außer einer Liegepritsche und einem Eimer mit Deckel. Ähnlich wie in einer Gefängniszelle. Kein Schreibpult, kein Tischchen, auf dem Bücher oder Briefe lagen, kein Schrank für Kleidung, nichts.
Die Frau, die mit kurz geschorenem Haar auf der Pritsche lag, das Gesicht von der Tür abgewandt, die Knie von den Armen umschlungen und der Leib dadurch zusammengeknüllt, war barfuß und trug ein Gewand, das sehr sauber war, aber dünn und beinahe durchscheinend, als bestünde es aus Haut oder Papier. Erenis wagte es nicht, sie zu berühren, noch sich auch nur zu ihr hinzubeugen.
»Ladiglea?«, fragte sie so leise, dass sie sich selbst kaum verstehen konnte. Sie räusperte sich und versuchte es noch einmal. »La? Ich bin es, Nissi.«
»Nissi? Wo warst du denn?« Die Stimme klang verändert, aber sie war es. Sie war es. Erenis hatte sie für tot gehalten, so viele Jahre lang, und jetzt fürchtete sie den Ausdruck in ihrem Gesicht. Wenn sie sich umwandte und sie anschaute, so frei und stark und La so weggeworfen – sie wusste nicht, ob sie das ertragen konnte.
»Jetzt bin ich hier, La. Jetzt bin ich ja hier.«
Ladiglea regte sich. Dann wandte sie sich ruckartig um.
Es war ein Schock. Noch schlimmer, als Erenis befürchtet hatte. Das Gesicht war nicht nur eingefallen und wie verfrüht gealtert, sondern die Augen gleichzeitig fiebrig und kraftlos. Drogen? Drogen wie diese, die man auch ihr verabreicht hatte, damit sie willenlos wurde, in der Nacht, in der sie das Turnier gewann? Oder waren das keine Drogen, sondern nur die absolute Hilf- und Hoffnungslosigkeit?
»Hast du sie alle getötet, Nissi? Hast du es geschafft?«
»Alle getötet? Wen?«
»Na, alle. Dazu hat man uns doch großgezogen. Damit wir sie alle töten können!«
Erenis verstand nicht, wovon Ladiglea sprach. Aber sie stellte die Laterne nun ab und schloss ihre Klingenschwester in die Arme, ihre beste Freundin, mit der sie damals alles geteilt hatte, selbst die peinlichsten Geheimnisse, mit denen die Körper sich entwickelnder Mädchen aufwarten konnten. Ladiglea fühlte sich leicht an wie ein Vogel, als bestünde sie nur aus Knochen, vorstehenden Gelenken und Papierkleidung. Sie roch sehr sauber, auch ihre Haare, immerhin darauf achtete man hier, das war besser als in einem Gefängnis. Aber ansonsten? Es war nicht mal ein Trinkgefäß zu sehen oder ein Holzteller mit einem Holzlöffel. Erenis erinnerte sich an die Worte der Bediensteten: Nichts, womit eine Schutzbefohlene sich oder anderen etwas antun könnte.
Diese Berührung ging Erenis durch und durch. Dieses Halten und Klammern.
Wie lange war es her, dass sie zuletzt eine Umarmung zugelassen hatte? Seit Seslas Tod nicht mehr. Wozu denn auch?
Aber jetzt war alles fremd und vertraut gleichzeitig. Ladiglea roch anders und fühlte sich anders
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