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Klippen

Klippen

Titel: Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Adam
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ich schloss. Ich spendierte ihr ein paar Drinks, und sie blickte seufzend zu den anderen hinüber, die sie schrecklich langweilten. Sie war einen Monat bei ihrer Großmutter, vor der sie abends Reißaus nahm. Die Alte ging nämlich mit den Hühnern schlafen, und im Lauf der Tage hatte ich gelernt, unter all den sonnenbadenden Leibern ihren und den ihrer Großmutter auszumachen, die immer an derselben Stelle lagen. Die Alte löste zwischen zwei Badegängen Kreuzworträtsel, die Jüngere zeigte sich nie ohne Sonnenbrille und T-Shirt. Allmählich ging sie dazu über, mir in meiner Bude zeitweilig Gesellschaft zu leisten. Sie mochte die Robinson-Crusoe-Atmosphäre und raunte mir ins Ohr. Ihr Vater war vor ein paar Monaten ums Leben gekommen, ein dummer Unfall, aber was änderte das schon, er war tot, und etwas in meinem Gesicht oder meinen Augen erinnerte sie irgendwie an ihn. Ich hörte ihr zu, einem Toten zu ähneln hieß gar nichts. Flüsternd erzählte sie mir von ihrem Alltag, von Abwesenheit und Stillstand, von ihrer Gleichgültigkeit gegenüber den anderen und dem hartnäckigen Gefühl, dass zwischen der Welt und ihr eine dicke Glasscheibe war, eine Trennwand aus durchsichtiger Baumwolle, ein Regenvorhang. Das erzählte sie mir, die Stunden in den Cafés und der nicht enden wollende Unterricht, die Sonne auf ihrer Haut und die Musik, bei der sie aus sich herauskam, die Angewohnheit ihres Vaters, aufzutauchen und sie anzulächeln, bevor er spurlos verschwand. Dreizehn Jahre lagen zwischen uns, aber sie und ich waren uns so ähnlich. Ich sagte es ihr nicht. Ich begnügte mich damit, ihren Schatz aus Vertraulichkeiten und ihre alte Sammlung banaler Schmerzen zu hüten.
    Manchmal frage ich mich, warum sie gerade mich ausgewählt hatte, was an meiner Art, meinem Gebaren oder Gesicht mich entlarvte, ob sich hier eine Art instinktives Wiedererkennen vollzog, das manchmal dazu fuhrt, dass sich einander ähnelnde Menschen und, vielleicht mehr noch als alle anderen, vor allem die verletzlichsten und schutzlosesten unter ihnen zusammentun, um den Stürmen des Lebens zu trotzen. Eines Tages gestand sie, es sei so praktisch mit mir, ich sei wie ein Grab, in das sie ihre Geheimnisse legen könne, ich sei so wenig präsent, so wenig konkret und existent, dass man mich nach Belieben füllen und mit mir machen könne, was man wolle. Im flackernden Licht einer Taschenlampe zog sie ihren Pullover aus, und ihre Brustspitzen zeigten in die Nacht. Wir liebten uns im lauten Tosen der Wellen, ich schloss die Augen und glaubte, Lorette und ihren zarten, knochigen Körper, ihre schmalen Hüften und winzigen Brüste unter meinen Lippen zu spüren. Sie starrte mich an und presste die Zähne zusammen, manchmal hatte ich das Gefühl, ihr wehzutun. Danach schmiegte sie sich an mich und schlief ein, sie passte in meine Hand, war mit einem Mal nicht viel größer als ein Kind. Das ging etwa drei Wochen so, dann reiste sie ab. Manchmal machte sie sich über mich lustig, lachte und bezeichnete mich als pervers, wollte wissen, ob meine Frau darüber im Bild war, dass ich mit Minderjährigen schlief … Ich antwortete nicht, zuckte nur mit den Schultern, wusste ich doch selbst nicht, wie alt ich war, mein Leben war so klein, und ich hatte so wenig erlebt, ich war nur ein Kind, ich war elf und meine Mutter war tot, die Welt war eiskalt, und ich schlotterte, ich brauchte jemanden, der mich in den Arm nahm und tröstete, der mich wiegte und wärmte. Genau wie sie.
     
    Meine Füße stoßen an Kieselsteine oder versinken im schwammigen, kalten Moos. Die Welt ist nichts weiter als eine Anhäufung pfeifender, dumpfer Geräusche, schwarzer und grauer Schichten und Luftverschiebungen, und meine Schale bedeckt nichts, enthält nichts. Ebenso gut könnte ich sterben. Wie meine Mutter könnte ich sterben, meine Augen füllen sich mit Tränen, und wie sie bewege ich mich auf den Abgrund zu, unter meinen Lidern und in meinem Kopf schwebt Chloés Gesicht, und ich frage mich, ob auch meine Mutter im Sterben oder kurz davor auf der schwarzen Leinwand des in den Himmel übergehenden Meeres unsere Gesichter auftauchen sah, meins und Antoines. Ich lasse mich fallen, das nasse Gras nimmt mich auf und bereitet mir ein kaltes Lager. Ich könnte nicht sterben wie sie, das weiß ich. Nie. Chloé ist geboren, und ich weiß jetzt, dass ich nie sterben kann. Und ich mache mir lieber nicht klar, dass auch ich geboren war und dies nichts verhindert

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