Klippen
Kreisen der Vögel, ich bin ein mit der Nacht verschmolzener leerer Körper. Ich stolpere, und meine Wange streift die trockene, kältestarre Heide. Ich spüre warmes Blut über meine Stirn laufen. Die Möwen werden mir die Augen aushacken, die Nacht dreht sich um sich selbst, wie der Mond, wie die Sterne. Ich stoße ein Heulen aus, als könnte es mich von allem reinigen, aber meine Stimme dringt kaum zu mir, sie geht im Windstoß und im Lärm des Ärmelkanals unter. Ich bin eine schwarze Nacht, ein Klippenrand, ein ertrunkenes Leben, schwindelfrei und mit Blick ins Leere.
Wir verließen Paris, als ginge es darum, unsere Haut zu retten. Wir machten meinem Leben als Schlafwandler, meinen von Alkohol zersetzten, beklemmenden, kraftlosen Stunden als lebendem Toten ein Ende. Das Haus steht nur einen Steinwurf von den Klippen und einem sichelförmigen Strand entfernt. Die Halbinsel ragt weit ins Meer hinein, die von Brombeersträuchern, Moos und Erika überwucherte Heide leuchtet in tausend Farben, Crozon riecht nach Farn, feuchtem Fels und Lakritze. Anfangs machte sich Claire über meinen Vogeltick lustig, ich konnte ihnen stundenlang zusehen und mit den Augen ihre bizarren Flugbahnen, jähen Schwenker und glanzvollen Kurven verfolgen. Claire verließ morgens das Haus, und ich trank meinen Kaffee am Hafen, im rein gewaschenen Licht unter einem wechselnden Himmel. Trawler kehrten vom offenen Meer zurück und luden auf dem Kai Kisten mit silbrig schimmernden Fischen ab, die anschließend filetiert und getrocknet wurden. Danach fuhr ich mit dem Motorrad kilometerweit an Landzungen und Felsbuchten entlang, bevor ich ganz in der Nähe der Vogelwarte hielt, um meine Finger in den Sand zu graben. Unterwegs drehten sich langsam die Windräder, der Fels war grau und grün. Ein paar karge Dörfer mit Mauern aus dickem, dunklem Stein und windgegerbten Bewohnern kauerten an seinem Rand. Ich verbrachte viele Stunden an der Vogelwarte, beobachtete die Gehege, in denen verletzte Kormorane gepflegt wurden, und sah dem geheimnisvollen Tun dieser Menschen zu, die ihr Leben in den Dienst der Vogelzählung und der Erfassung von Arten stellten.
Dieses Leben hat mich nicht geheilt, es war lediglich möglich, während kein anderes es war, schon gar nicht das, das ich soeben aufgegeben hatte. Es war ein Leben der Stille und Leere, der Abwesenheit und geschärften Wahrnehmung der Dinge, der wechselnden Lichtverhältnisse, der reglosen Bewegung des Wassers, der Düfte, der Beschaffenheit der Luft. Es war ein Leben, in dem ich endlich einen Platz fand, fernab von allem, aber ruhig, ein Körper, der von Luft und Gischt erfüllt, ein Gehirn, das völlig vom Rauschen des Meeres und des Windes und der Begegnung mit den Vögeln in Beschlag genommen wurde. Manchmal schrieb ich. Claire überhäufte mich in der feuchten Abendluft mit Küssen, und wir tranken bis spät in die Nacht, während es überall im Haus knackte, hinter den geschlossenen Fensterläden die Bäume tanzten und die Welt aufbrach. Dann kam der Sommer, und ich fand an einem Strand einen Job als Kellner in einer Bretterbude mit Bambusdach. Kinder kamen, um sich mit Süßigkeiten einzudecken, alte Leute nippten an einem Perrier oder einem Zitronentee, die Jüngeren tranken Bier und verschlangen Paninis oder Waffeln, bevor sie, halb nackt oder in schwarzen Neoprenanzügen, wieder ins Wasser gingen. Ich war den ganzen Tag am Meer, beobachtete Ebbe und Flut und wie sich die Sonne im nassen, von winzigen Wasserbecken, in denen kleine Kinder planschten, durchsetzten Sand spiegelte. Wir arbeiteten zu zweit, und einer von uns schlief abwechselnd nachts dort. Ich schloss die Bude zu und legte mir auf dem Boden eine Art Matratze aus. Einen Baseballschläger in Griffweite, eine Tränengasflasche in meiner Jackentasche, lag ich in mehrere Decken eingehüllt da und hörte die Flut kommen, und manchmal hatte ich den Eindruck, das Wasser wäre so nah, dass es gleich alles überspülen und mich verschlucken würde. Von Zeit zu Zeit ging ich hinaus, die Boote schaukelten unter dem Mond, die in einer Reihe angeordneten Felsen bildeten winzige Inseln, auf denen die Möwen schliefen. Ich zog mich aus, verstreute meine Sachen auf dem durchnässten Sand, die Nächte waren manchmal sehr mild, und das vollkommen ruhige Meer leckte an meinen Knöcheln, dann an meinen Schenkeln und am ganzen Körper, ich trat flach auf und watete ohne Hast ins Wasser, bis es mir an die Nasenflügel reichte. Mein Körper
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