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Klippen

Klippen

Titel: Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Adam
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nicht zu einem Haus dieser Art passte. Die Toiletten befanden sich auf dem Treppenabsatz, die Einrichtung des winzigen Zimmers bestand aus einer Kommode, einem Bett und einem Tisch, der mir als Schreibtisch diente und auf den ich einen Gaskocher gestellt hatte. Das Fenster, das in die Dachschräge eingelassen war, an der ich mir jedes Mal den Kopf stieß, wenn ich aus einem dieser Träume hochfuhr, in denen mir Maman erschien und mich zu sich winkte (ich ging auf sie zu, und je näher ich kam, desto mehr entfernte sie sich von mir, ihr Gesicht verschwamm, und schließlich lösten sich ihre Züge ganz auf), ging zur Alexander-Newski-Kathedrale. Stundenlang betrachtete ich mit der Stirn an der Scheibe ihre goldene Christusfigur und die kahlen Bäume, die sie im Winter umstanden, oder sah den dreimal wöchentlich stattfindenden Beerdigungen zu. In der Anfangszeit hängte ich einen Vogelkäfig aus dem Fenster, um die Butter, die Joghurts und das Fleisch frischzuhalten, das ich manchmal aus einer Laune heraus kaufte, was aber eher selten vorkam. Ich ernährte mich fast ausschließlich von Nudeln, Reis, Gries, Obst und billigem Wein, den ich in gigantischen Mengen trank und der mir den Hunger so weit nahm, dass ich die meisten Mahlzeiten auslassen konnte. Ich erinnere mich noch an den kratzigen grauen Teppichboden und die Flecken, die ihn verunzierten, Inseln mitten im Meer, eine imaginäre Kartografie, ein Muster, das ich, wie ich meine, noch heute nachzeichnen könnte. Und an die staubigen Lichtbahnen, die sich an sonnigen Vormittagen darauf brachen. An das durchgelegene Bett mit den kaputten Füßen, die ich durch auf der Straße gefundene rote Ziegel ersetzt hatte. An die schiefen Wände und den seltsamen Duschkäfig aus Plastik gleich neben dem gesprungenen Waschbecken und, weiter oben, an das vergammelte Fenster mit Blick auf die Mauer und den Lichtschacht. Vom Flur gingen fünf Zimmer desselben Typs ab, einer der Mieter hatte kein fließendes Wasser und versorgte sich damit am Hahn neben den Toiletten, er füllte es in Schüsseln, um seine Wäsche zu waschen, und machte dort frühmorgens oder mitten am Nachmittag, wenn er sich allein auf der Etage glaubte, seine Toilette. Der Mann war ungefähr fünfzig, ein Serbe mit kantigem Gesicht, auf dem zögerlich ein schütterer grauer Bart wuchs. Er bewohnte das Zimmer ganz hinten und erledigte für die orthodoxe Gemeinde des Viertels kleinere Elektriker-, Klempner-, Maler-und Gärtnerarbeiten. Ich traf ihn manchmal auf der Straße, wenn er den Vorplatz der Kathedrale kehrte oder die Auslage des Restaurants strich, das mit Puppen und rot-schwarzen Decken dekoriert war und in dem abends, von zahnlückigen Fiedlern begleitet, blonde Sängerinnen mit rot geschminkten Wangen auftraten. Nachts hörte ich ihn oft gegen drei oder vier Uhr morgens sternhagelvoll und mit Flaschen bepackt mühsam die sechs Etagen zu seiner Bleibe hochsteigen. Immer wieder stürzte er mit dumpfem, sattem Geräusch, in das sich das Klirren des gegen die Stufen schlagenden Glases mischte. Sein Aufstieg konnte Stunden dauern, und je näher er kam, desto deutlicher hörte ich seinen schweren Atem und die in seiner Sprache ausgestoßenen Flüche. War er endlich, atemlos und wankend, oben angelangt, legte er einen Halt auf dem Flur ein, wo er laut mit sich selbst redete und ausgiebig in die Toilette pinkelte. Das Plätschern seines Urins im Wasser der Kloschüssel erfüllte die stille Nacht. Manchmal wurde es von Liedern überlagert, die er mit dröhnendem Ernst sang. Hin und wieder besuchte ich ihn in seinem winzigen Zimmer, dessen Boden mit leeren Flaschen übersät war. Mit dem Rücken zu mir kramte er eine halbe Ewigkeit in großen Plastiktüten, bis er schließlich die Dichtung oder die Sicherungen zutage förderte, um die ich ihn gebeten hatte. Er kam regelmäßig zu mir, um einen Kaffee zu trinken, sich Brot oder Seife zu leihen oder eine undichte Stelle zu reparieren, ohne dafür auch nur einen Sous zu nehmen. Jedes Mal äußerte er sich begeistert über die Größe meines Zimmers, obwohl es nur rund zehn Quadratmeter maß, davon gut ein Drittel mit Dachschräge. Ich wohnte auf dem Boden. Er berührte meine Bücher, schlug sie jedoch nicht auf stöberte in meiner Schallplattensammlung und bat mich manchmal nach einem kurzen Blick auf die Hülle, die eine oder andere aufzulegen. Mit geschlossenen Augen hörte er sich andächtig Songs von Nick Drake, Bob Dylan oder Leonard Cohen an. Er mochte es, wenn

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