Klondike
den Weiden grasen lassen wollte, an denen sie unterwegs vorbeikommen würden. Sein Versuch scheiterte nach zwei Wochen, als es keine Weiden mehr gab. Ein anderer wollte sich von einem Hundegespann ziehen lassen, wieder ein anderer brach nur mit einem Rucksack und einem Vorrat aus speziell zubereiteten Nüssen und Trockenfrüchten auf, die ihn, behauptete er wenigstens, bis zu seiner Ankunft auf den Goldfeldern Anfang September ernähren würden. Siebzig derart Kurzsichtige, die entweder bereits losmarschiert waren oder noch aufbrechen wollten, sollten unterwegs zugrunde gehen - ein trauriger Beweis für den allgemeinen Wahnsinn, der um sich gegriffen hatte.
Lord Luton rechnete sich für seine Truppe einen guten Start auf dem Mackenzie-Flußsystem aus, falls sie die vergleichsweise unbeschwerlichen neunzig Meilen bis zum Athabaska ohne große Schwierigkeiten schaffen würden. Darauf bedacht, auch nicht einen Sommertag zu vergeuden, war er sogar gewillt, Rollkutscher anzuheuern, die sie bis zur Anlegestelle am Athabaska bringen sollten, vorausgesetzt, sie waren besonders schnell, denn er hatte es sich in den Kopf gesetzt, einer der ersten zu sein, die nach Norden segelten.
»Wir müssen«, erklärte er den Rollkutschern, »den Mackenzie-Fluß schon ein gutes Stück hinuntergefahren sein, bevor er gefriert.«
»Das sind vierundneunzig Meilen über Land, und bei zwanzig Meilen pro Tag ... können Sie ja selbst nachrechnen ... das sind über vier Tage.«
»Versuchen Sie, ‘s in dreieinhalb zu schaffen. Hier haben Sie noch ein Pfund für jeden.«
»In Dollar?«
»Fünf kanadische Dollar.« Und die Sache war abgemacht.
So fanden sie sich unter den aus Edmonton strömenden Horden wieder, und es war ein seltsames Gefühl, mitten im Sommer und in leichter Jagdkleidung immer die Gefahr im Auge behalten zu müssen, daß der Fluß bald gefrieren wird.
Auf ihrem Weg durch einsam gelegene Siedlungen riefen ihnen die Bewohner, nur den Anblick von Jagdgesellschaften gewohnt, zu: »Wo soll ‘s hingehen? Jagd auf Elche oder Jagd nach Gold?«, worauf Philip immer zurückrief: »Gold natürlich!«
Als sie am Abend des dritten Tages ihr Nachtlager aufschlugen, breitete Harry Carpenter die noch in Edmonton erworbene Karte des Mackenzie-Gebietes aus und berechnete mit dem Lineal, das er der Expedition gestiftet hatte, welche Strecke noch zu bewältigen war, sobald sie das Flußsystem des Mackenzie-Flusses erreicht hatten. Er war der Ansicht, alle Mitglieder der Mannschaft sollten über die gewaltige Aufgabe informiert sein, die sie in Angriff nehmen wollten, und zählte daher die einzelnen Wegstrecken genau auf: »Wenn wir morgen schon, also am 18. August, in die glückliche Situation kommen, ein Boot kaufen und sofort losfahren zu können, und anschließend alle unsere Kräfte konzentrieren, dann bleiben uns genau vierundsechzig Tage bis zu dem Datum, an dem der Mackenzie-Fluß normalerweise anfängt zu gefrieren. Von hier bis Fort Norman, was wir als mögliches Ziel anpeilen könnten, sind es nur achthundertsechzehn Meilen, Luftlinie, aber .«
». leider sind wir keine Vögel«, ergänzte Philip.
Harry nickte und fuhr fort: »Wenn wir die ganzen Windungen mitrechnen, müssen wir etwa eintausendzweihundert Meilen zurücklegen«, worauf Philip vor Staunen durch die Zähne pfiff.
»Alles halb so schlimm. Zwölfhundert Meilen geteilt durch vierundsechzig Tage, das macht eine durchschnittliche Entfernung von weniger als neunzehn Meilen pro Tag, und das kann man schaffen.«
»Wir haben drei enorme Vorteile, die sich nur günstig für uns auswirken«, nahm Luton das Heft wieder in die Hand. »Erstens fahren wir die ganze Zeit über flußabwärts bei einer gleichmäßigen und manchmal schnellen Strömung, die uns jeden Tag schon von ganz allein ein gutes Stück voranbringt, auch wenn wir keinen Finger rühren. Zweitens haben wir die meiste Zeit Rückenwind. Und was am wichtigsten ist, wenn wir erst mal in unserem Boot sind und die Segel gespannt, bewegen wir uns automatisch in nördliche Richtung, ununterbrochen, vierundzwanzig Stunden am Tag, bis der Frost einsetzt.«
»Bei den Bedingungen könnten wir ja bis China weitersegeln«, scherzte Philip, aber sein Onkel ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Ein weiterer Vorteil: Wir sind nicht gezwungen, Fort Norman oder irgendeinen anderen Punkt entlang der Strecke anzusteuern. Dank Harrys sorgfältiger Planung, in London angefangen und hier in Edmonton fortgeführt, können wir
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