Klonk!
sie hineingefallen war, denn er wusste nicht, wo sich die Stelle befand.
Vielleicht sollte er ins Wasser springen, diesmal mit Absicht, und vielleicht würde es ihn zum Fluss tragen und nicht an irgendwelchen Felsen zerschmettern. Vielleicht…
Warum hatte er das Seil losgelassen? Es war wie die leise Stimme gewesen, die »Spring«, flüsterte, wenn man an einem Abgrund stand, oder »Berühr das Feuer«. Man kam der Aufforderung natürlich nicht nach. Das galt zumindest für die meisten Leute, die meiste Zeit über. Eine Stimme hatte »Lass los« geflüstert, und er hatte losgelassen…
Mumm setzte den Weg fort, blutend und voller Schmerzen, während die Dunkelheit ihren Schweif um ihn wölbte.
» E r wird bald hier sein, weißt du«, sagte Sybil. »Vielleicht kommt er in der letzten Minute.« Die große Standuhr im Flur hatte gerade halb sechs geschlagen.
»Bestimmt hast du Recht«, erwiderte Bunty. Sie badeten den kleinen Sam.
»Er kommt
nie
zu spät«, fuhr Sybil fort. »Er meint, wenn man aus einem guten Grund zu spät kommt, kommt man auch aus einem schlechten zu spät. Und es ist erst halb sechs.«
»Es bleibt noch reichlich Zeit«, sagte Bunty.
»Fred und Nobby haben die Pferde ins Tal gebracht, nicht wahr?«, fragte Sybil.
»
Ja
, Sybil. Du hast gesehen, wie sie aufgebrochen sind«, sagte Bunty. Über Sybils Kopf hinweg blickte sie zur hageren Gestalt ihres Mannes, der in der Tür stand. Er zuckte hoffnungslos mit den Achseln.
»Erst neulich lief er die Treppe hoch, als die Uhr sechs schlug«, sagte Sybil und seifte den kleinen Sam mit einem Schwamm ein, der wie ein Teddybär aussah. »In der letzten Sekunde. Warte es ab.«
E r wollte schlafen. Nie zuvor war er so müde gewesen. Mumm sank auf die Knie und kippte zur Seite auf den Sand.
Als er die Augen aufzwang, sah er matte Sterne über sich und hatte erneut das Gefühl, dass jemand in der Nähe war.
Er drehte den Kopf und schnitt eine Grimasse, als er damit neuen Schmerz herausforderte. Ein kleiner, hell erleuchteter Klappstuhl stand auf dem Sand. Darauf saß, zurückgelehnt, eine Gestalt, die einen Kapuzenmantel trug und ein Buch las. Neben dem Stuhl steckte eine Sense im Sand.
Eine weiße Knochenhand blätterte um.
»Du bist der Tod, nicht wahr?«, fragte Mumm nach einer Weile.
AH, HERR MUMM, SCHARFSINNIG WIE IMMER, HAST ES SOFORT RICHTIG ERKANNT, sagte Tod und klappte das Buch zu. Ein Finger markierte die Stelle, die er gerade gelesen hatte.
»Ich habe dich schon einmal gesehen.«
ICH WAR OFT MIT DIR UNTERWEGS, HERR MUMM.
»Und jetzt ist es soweit?«
IST DIR DAS KONZEPT GESCHRIEBENER ERZÄHLUNGEN NIE SELTSAM ERSCHIENEN?, fragte Tod.
Mumm wusste, wann Leute etwas zu meiden versuchten, das sie nicht aussprechen wollten. Dies geschah hier.
»Ist es soweit?«, fragte er. »Bin ich dran?«
VIELLEICHT.
»Vielleicht?«, wiederholte Mumm. »Was für eine Antwort ist das?«
EINE SEHR GENAUE. WEISST DU, DU HAST EINE BEINAHETODESERFAHRUNG, WAS UNVERMEIDLICHERWEISE BEDEUTET, DASS ICH EINE BEINAHE-
MUMM
-ERFAHRUNG HABE. ACHTE NICHT AUF MICH. SETZE DAS FORT, MIT DEM DU BESCHÄFTIGT BIST. ICH HABE EIN BUCH.
Mumm rollte auf den Bauch, biss die Zähne zusammen und stemmte sich erneut auf Hände und Knie. Er schaffte es, einige Meter zurückzulegen, bevor er wieder in den Sand sank.
Er hörte das Geräusch eines Stuhls, der bewegt wurde. »Solltest du nicht woanders sein?«, fragte er.
DAS BIN ICH AUCH, sagte Tod und setzte sich wieder.
»Aber du bist hier!«
ICH BIN
AUCH
HIER. Tod blätterte und brachte für eine nicht atmende Person einen guten Seufzer zustande. OFFENBAR HAT ES DER BUTLER GETAN.
»Was getan?«
ES IST EINE ERFUNDENE GESCHICHTE. SEHR SELTSAM. MAN BRAUCHT NUR AUF DER LETZTEN SEITE NACHZUSEHEN, DENN DORT STEHT DIE ANTWORT. WELCHEN SINN HAT ABSICHTLICHE UNWISSENHEIT?
Es klang nach Unsinn, deshalb ging Mumm nicht darauf ein. Einige der Schmerzen waren verschwunden, doch es hämmerte noch immer in seinem Kopf. Hinzu kam ein Gefühl umfassender Leere. Er wollte nur schlafen.
» G eht die Uhr richtig?«
»Ich fürchte ja, Sybil.«
»Ich warte draußen auf ihn und halte das Buch bereit«, sagte Sybil. »Er lässt sich von nichts aufhalten, weißt du.«
»Bestimmt nicht«, erwiderte Bunty.
»Allerdings kann das Wetter im unteren Tal in dieser Jahreszeit sehr tückisch…«, begann ihr Mann. Ein Blick seiner Frau brachte ihn zum Schweigen.
Es war sechs Minuten vor sechs.
» G lucksbimmel,
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