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Kloster Northanger

Kloster Northanger

Titel: Kloster Northanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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sie ihr Geheimnis gleich sicher aufgehoben. Absichtlich jedenfalls konnte Henry sie nicht verraten haben. Sollte sein Vater allerdings durch einen unglücklichen Zufall von dem erfahren haben, was sie zu denken und zu suchen gewagt hatte, von ihren unberechtigten Hirngespinsten und beleidigenden Nachforschungen, dann durfte keine noch so große Empörung sie überraschen. Wenn er wusste, dass sie ihn des Mordes verdächtigt hatte, dann durfte sie sich nicht wundern, wenn er sie aus dem Haus wies. Aber eine für sie so qualvolle Berechtigung konnte er unmöglich haben.
    So angestrengt ihre Gedanken auch um diesen Punkt kreisten, es gab doch etwas, was sie intensiver beschäftigte. Ein Gedanke lag ihr näher, eine unmittelbarere, dringlichere Sorge. Was Henry denken und empfinden und was für ein Gesicht er machen würde, wenn er am nächsten Morgen nach Northanger zurückkehrte und von ihrer Abfahrt hörte, war eine Frage, deren Gewicht und Reiz alles andere verdrängte, die sich immer wieder, abwechselnd quälend und tröstend, stellte. Mal befürchtete sie, auf seine schweigende Ergebenheit schließen zu müssen, mal setzte sie das schönste Vertrauen auf sein Bedauern und seinen Widerstand. Mit dem General würde er sich natürlich nicht zu reden getrauen, aber Eleanor, was würde er Eleanor nicht alles von ihr erzählen!
    Während ihr so Zweifel und Fragen in ständigem Kreislauf durch den Kopf gingen, ohne dass ihr Verstand fähig war, länger als einen Augenblick bei einem einzigen Punkt zu verweilen, vergingen die Stunden, und ihre Reise näherte sich ihrem Ende schneller, als ihr lieb war. Die quälenden Gedanken, die sie daran hinderten, ihre Umgebung wahrzunehmen, sobald sie die Gegend von Woodston hinter sich gelassen hatte, bewahrten sie gleichzeitig davor, den Fortgang ihrer Reise zu beobachten. Und obwohl nichts auf der Straße ihre Aufmerksamkeit auch nur einen Augenblick fesseln konnte, kam sie ihr an keinem Punkt langweilig vor. Davor bewahrte sie noch etwas anderes: Sie sehnte das Ende der Reise durchaus nicht herbei. Denn eine Rückkehr nach Fullerton auf diese Weise würde ihr beinahe ganz das Vergnügen rauben, die Menschen wiederzusehen, die sie am meisten liebte, selbst nach so langer Abwesenheit – einer Abwesenheit von elf Wochen. Was konnte sie vorbringen, das nicht sie selbst demütigen und ihrer Familie weh tun würde, das ihren Kummer durch sein Eingeständnis nicht noch vergrößern, eine sinnlose Verbitterung verschlimmern und vielleicht die Entrüstung über den Schuldigen unterschiedslos auf die Unschuldigen ausdehnen würde. Sie würde Henrys und Eleanors Qualitäten niemals gerecht werden können und war unfähig, sie in Worte zu fassen. Und sollte man schlecht von ihnen denken, sollte man ihnen ihres Vaters wegen einen Vorwurf machen, es würde sie im Innersten treffen.
    Bei solchen Gefühlen fürchtete sie den Anblick des wohlbekannten Kirchturms, der ihr ankündigte, dass sie nur noch zwanzig Meilen von zu Hause entfernt war, eher als dass sie ihn herbeisehnte. Salisbury, so viel hatte sie bei ihrer Abfahrt von Northanger gewusst, war ihr Reiseziel. Aber nach der ersten Etappe hatte sie sich wegen der Namen der Orte, durch die sie kommen musste, ganz auf die Postmeister verlassen. So wenig kannte sie ihre Reiseroute. Es ereignete sich allerdings nichts, was sie hätte ängstigen oder erschrecken können. Ihre Jugend, ihr höfliches Benehmen und reichliches Trinkgeld verschafften ihr all die Aufmerksamkeit, die eine Reisende wie sie sich wünschen konnte. Und da man nur anhielt, um die Pferde zu wechseln, reiste sie ungefähr elf Stunden ohne beunruhigenden Zwischenfall und fuhr zu ihrer Überraschung zwischen sechs und sieben Uhr abends nach Fullerton hinein.
    Die Rückkehr der Heldin am Ende ihrer Laufbahn in ihr heimatliches Dorf, im vollen Triumph ihres wiederhergestellten Rufs und mit der ganzen Würde einer Gräfin, mit einem langen Zug von adligen Verwandten, in einer Reihe vornehmer Wagen und drei Zofen in einer vierspännigen Kutsche hinter sich, ist ein Ereignis, bei dem die Feder jeder Autorin allen Grund hat, mit Entzücken zu verweilen. Sie ziert das Ende jedes Buches, und auch die Autorin hat teil an dem Ruhm, den sie so großzügig verteilt. Aber bei mir steht die Sache ganz anders. Ich lasse meine Heldin in Einsamkeit und Schande nach Hause kommen. Und keine freudige Begeisterung kann mich zu einer genauen Schilderung hinreißen. Eine Heldin in einer gewöhnlichen

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