Kloster Northanger
Postkutsche versetzt allen hochfliegenden Gefühlen einen solchen Schlag, dass auch Prunk und Pathos dagegen machtlos sind. Geschwind soll also der Kutscher unter den Blicken von Sonntagsspaziergängern durchs Dorf fahren, und eilig soll sie aussteigen.
Aber so betrübt Catherines Gemüt, als sie auf das Pfarrhaus zuging, und so groß die Beschämung ihrer Autorin bei der Beschreibung auch sein mag, denen zu Hause bereitete sie damit eine nicht alltägliche Freude; einmal durch die Ankunft der Postkutsche und zum andern durch sich selbst. Da eine Reisekutsche ein seltener Anblick in Fullerton war, war die ganze Familie unverzüglich am Fenster. Und dass sie am Gartentor hielt, war eine Freude, die alle Augen strahlen und alle Herzen höher schlagen ließ – eine ganz unerwartete Freude für alle außer den beiden jüngsten Kindern, einem Jungen von sechs und einem Mädchen von vier Jahren, die in jeder Kutsche einen Bruder oder eine Schwester erwarteten. Glücklich der Blick, der Catherine zuerst erkannte! Glücklich die Stimme, die die Entdeckung verkündete! Aber ob nun George oder Harriet rechtmäßig Anspruch auf dieses Glück erheben konnte, war nicht genau festzustellen.
Ihr Vater, ihre Mutter, Sarah, George und Harriet, alle an der Tür versammelt, um sie mit liebevoller Ungeduld zu begrüßen – das war ein Anblick, der die schönsten Gefühle in Catherines Herzen weckte. Und in der Umarmung jedes Einzelnen fühlte sie sich, als sie aus der Kutsche stieg, über alle Erwartung getröstet. So umgeben, so ans Herz gedrückt fühlte sie sich beinahe glücklich. In der freudigen Geborgenheit familiärer Liebe war der Schmerz für eine Weile gedämpft, und da die Freude, Catherine wiederzusehen, ihnen zuerst wenig Zeit zu nüchternen Fragen ließ, saßen sie bald alle um den runden Teetisch, den Mrs. Morland mit Rücksicht auf die arme Reisende, deren blasses und abgespanntes Aussehen ihr nicht entging, eilig gedeckt hatte, bevor ihr Fragen gestellt wurden, deren Direktheit eine genaue Antwort verlangte.
Widerstrebend und nach vielem Zögern begann sie schließlich, was mit viel Entgegenkommen von Seiten der Zuhörer vielleicht nach Ablauf einer halben Stunde eine Erklärung genannt werden konnte. Sie hatten Mühe, innerhalb dieses Zeitraums den Grund für ihre plötzliche Rückkehr zu begreifen oder die Einzelheiten zu erfassen. Sie waren durchaus keine empfindliche Familie, durchaus nicht geneigt, etwas vorschnell als Affront zu verstehen oder gar erbittert nachzutragen. Aber hier handelte es sich, als die ganze Geschichte ans Licht kam, doch um eine Beleidigung, die man nicht unterschätzen und zumindest während der ersten halben Stunde nicht so leicht vergeben konnte. Ohne sich überspannten Ängsten hinzugeben, konnten Mr. und Mrs. Morland angesichts der langen und einsamen Reise ihrer Tochter doch nicht umhin, sich vorzustellen, wie viel Unannehmlichkeiten ihr daraus hätten entstehen können, dass sie so etwas freiwillig niemals geduldet hätten und dass General Tilney, indem er ihr so etwas zumutete, weder ehrenhaft noch verständnisvoll, weder wie ein Gentleman noch wie ein Vater gehandelt hatte. Warum er es getan hatte, was ihn zu solcher Verletzung seiner Gastfreundschaft herausgefordert haben und all seine Zuneigung zu ihrer Tochter so plötzlich in regelrechte Abneigung verwandelt haben mochte, das leuchtete ihnen fast noch weniger ein als Catherine. Aber es bedrückte sie keineswegs so lange. Und nach einer Reihe von unumgänglichen, aber fruchtlosen Vermutungen brachte sie die Tatsache, dass es eine merkwürdige Angelegenheit sei und er ein sehr merkwürdiger Mann sein müsse, über all ihre Empörung und Verständnislosigkeit hinweg. Nur Sarah gab sich noch eine Zeitlang den Genüssen der Rätselhaftigkeit hin und brach mit jugendlichem Feuer in Ausrufe und Vermutungen aus. »Mein Kind, du machst dir eine Menge unnötiger Sorgen«, sagte ihre Mutter schließlich, »verlass dich darauf, es lohnt sich nicht, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.«
»Ich kann ja verstehen, dass ihm Catherine im Wege war, als ihm die frühere Verabredung einfiel«, sagte Sarah, »aber warum erledigte er es nicht auf höflichere Art?«
»Mir tun die jungen Leute leid«, entgegnete Mrs. Morland, »sie haben es jetzt bestimmt nicht leicht. Aber abgesehen davon, ist der Fall für uns erledigt. Catherine ist heil wieder zu Hause, und unser Wohlergehen hängt nicht von General Tilney ab.« Catherine seufzte.
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