Kloster Northanger
aus dem Haus zu jagen ohne jede Rücksicht auf ihre eigenen Wünsche, ja, ihr nicht einmal den Anschein einer Wahl zuzugestehen im Hinblick auf das Wann und Wie ihrer Abreise! Von zwei Tagen den ersten zu wählen, und auch noch die frühestmögliche Stunde, als sei er entschlossen, sie aus dem Hause zu haben, bevor er sich morgens rührte, damit sie ihm ja nicht unter die Augen käme. Was konnte anderes dahinterstecken als ein beabsichtigter Affront? Irgendwie musste sie das Unglück gehabt haben, ihn zu beleidigen. Eleanor hatte zwar alles getan, um ihr diesen quälenden Gedanken auszureden, aber Catherine hielt es für ausgeschlossen, dass irgendeine ungewollte Beleidigung oder Kränkung solchen Unwillen gegen jemanden hervorrufen könnte, der nicht schuldig war oder mindestens dafür gehalten wurde.
Quälend langsam verging die Nacht. An Schlaf oder an Ruhe, die den Namen Schlaf verdiente, war nicht zu denken. Das Zimmer, in dem nach ihrer Ankunft ihre überspannte Phantasie sie gepeinigt hatte, war noch einmal der Schauplatz erregter Einbildungen und unruhigen Schlummers. Aber wie anders als damals war jetzt der Anlass ihrer Ruhelosigkeit, wie viel trostloser in seiner Greifbarkeit und Alltäglichkeit! Ihre Angst beruhte auf Tatsachen, ihre Befürchtungen auf Wahrscheinlichkeit! Und während sie in Gedanken so mit dem wirklichen und lebensnahen Bösen beschäftigt war, berührten und beeindruckten sie die Einsamkeit ihrer Lage, die Dunkelheit des Zimmers, das Alter des Gebäudes überhaupt nicht. Obwohl ein heftiger Wind wehte und oft merkwürdige und plötzliche Geräusche im ganzen Haus hervorrief, hörte sie all dem, während sie Stunde um Stunde wach lag, ohne Neugier oder Panik zu.
Kurz nach sechs betrat Eleanor ihr Zimmer in dem Bedürfnis, ihr, wo es ging, beizustehen oder zu helfen. Aber es war nicht mehr viel zu tun. Catherine hatte keine Zeit verloren, sie war fast fertig angezogen und hatte fast fertig gepackt. Die Möglichkeit, dass der General ihr eine versöhnliche Nachricht schicken würde, kam ihr in den Sinn, als seine Tochter eintrat. Was war natürlicher, als dass der Zorn sich legen und Reue an seine Stelle treten würde? Und sie wollte nur wissen, wie sie nach allem, was geschehen war, angemessen auf eine Entschuldigung reagieren sollte. Aber das Wissen wäre nutzlos gewesen, es wurde gar nicht verlangt. Weder Großmut noch Würde wurden auf die Probe gestellt – Eleanor brachte keine Nachricht. Sie wechselten nur wenige Worte, beide suchten im Schweigen ihre sichere Zuflucht, und solange sie in Catherines Zimmer waren, fielen nur ein paar banale Sätze zwischen ihnen. Catherine zog sich in nervöser Hast fertig an, und Eleanor gab sich mit mehr gutem Willen als Sachkenntnis Mühe, die Reisetruhe zu packen. Als alles fertig war und sie das Zimmer verlassen wollten, blieb Catherine einen Augenblick hinter ihrer Freundin zurück, um einen Abschiedsblick auf all die wohlbekannten, liebgewonnenen Gegenstände zu werfen, und ging dann hinunter ins Frühstückszimmer, wo das Frühstück bereitet war. Sie zwang sich zu essen, um sich die Qual zu ersparen, dazu genötigt zu werden, und auch um ihrer Freundin einen Gefallen zu tun. Aber sie hatte keinen Appetit und konnte nur wenige Bissen hinunterbringen. Schmerzlich wurde ihr der Kontrast zwischen dem heutigen und dem letzten Frühstück in diesem Zimmer bewusst und machte ihr die Umgebung noch verhasster. Es war noch keine vierundzwanzig Stunden her, dass sie sich zu dem gleichen Mahl zusammengefunden hatten, aber unter welch anderen Umständen! Mit welch heiterer Unbefangenheit, welch glücklicher, doch trügerischer Gewissheit hatte sie damals alles um sich herum betrachtet, die Gegenwart genossen und für die Zukunft nichts befürchtet, als dass Henry einen Tag nach Woodston fuhr! Was für ein glückliches Frühstück, denn Henry war da gewesen, Henry hatte neben ihr gesessen und ihr geholfen. Ausgiebig und ohne von ihrer Gefährtin, die selbst in Gedanken versunken dasaß, gestört zu werden, gab sie sich diesen Überlegungen hin. Und erst das Auftauchen der Kutsche riss sie aus ihren Gedanken und rief sie in die Gegenwart zurück. Catherine stieg bei ihrem Anblick das Blut ins Gesicht. Und die Erbärmlichkeit, mit der man sie behandelte, wurde ihr in diesem Augenblick mit solcher Unerbittlichkeit bewusst, dass sie für kurze Zeit nur Empörung empfinden konnte. Eleanor zwang sich nun zum Handeln und Sprechen.
»Sie müssen mir schreiben,
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