Kloster Northanger
willkommen geheißen worden, obwohl Henry zu Hause und niemand anders eingeladen war, zu ihrer Verabredung mit Glückserwartungen gegangen, die sich nicht erfüllt hatten. Statt Miss Tilney nach dem gemeinsam verbrachten Tag näher gekommen zu sein, fühlte sie sich eher weniger mit ihr vertraut als bisher; statt Henry Tilney im zwanglosen Familienkreis in noch günstigerem Licht erscheinen zu sehen, war er nie so schweigsam und schlecht gelaunt gewesen, und trotz der außerordentlichen Höflichkeit ihres Vaters ihr gegenüber, trotz seiner Danksagungen, Einladungen und Komplimente war sie beim Abschied erleichtert gewesen. Ihr war all das ein Rätsel. Es konnte nicht General Tilneys Schuld sein. Dass er ausgesprochen angenehm und liebenswert und ein durch und durch charmanter Mann war, war über jeden Zweifel erhaben, denn er war groß und gut aussehend und obendrein Henrys Vater. Ihn konnte man nicht verantwortlich machen für die schlechte Laune seiner Kinder und Catherines mangelndes Wohlbehagen in seiner Gegenwart. Das eine war hoffentlich nur ein Zufall gewesen, und das andere konnte sie nur ihrer eigenen Langweiligkeit zuschreiben. Als Isabella die Einzelheiten des Besuchs hörte, gab sie eine ganz andere Erklärung: Es war alles nur Stolz, Stolz, unerträglicher Hochmut und Stolz! Sie habe schon lange den Verdacht, dass die Familie sehr eingebildet war, und jetzt gab es keinen Zweifel mehr. So ein unverschämtes Benehmen wie Miss Tilneys habe sie in ihrem ganzen Leben noch nicht erlebt. Nicht einmal ihre Gastgeberpflichten mit dem Minimum an Anstand wahrzunehmen! Ihren Gast mit solcher Geringschätzung zu behandeln! Kaum mit ihr zu sprechen!
»Aber so schlimm war es wirklich nicht, Isabella, von Geringschätzung kann keine Rede sein; sie war sehr höflich.«
»Ach, verteidige sie nicht auch noch! Und dann erst der Bruder, er, der dich angeblich so gern mochte. Großer Gott! Na ja, manche Leute kann man einfach nicht begreifen. Und er hat dich also den ganzen Abend kaum eines Blickes gewürdigt?«
»Das will ich nicht sagen. Er war anscheinend nicht gut aufgelegt.«
»Wie abscheulich! Wenn ich eins nicht leiden kann, ist es Wankelmut. Ich rate dir ein für allemal, keinen Gedanken an ihn zu verschwenden, meine liebe Catherine, er ist deiner unwürdig.«
»Unwürdig! Ich glaube,
er
verschwendet keinen Gedanken an
mich
.«
»Das sag ich ja: Er verschwendet keinen Gedanken an dich. So etwas Launisches! Oh, was für ein Unterschied zu deinem Bruder und zu meinem! Ich glaube wirklich, John hat ein richtig treues Herz.«
»Aber ich muss sagen, General Tilney hätte mich gar nicht mit größerer Höflichkeit und Aufmerksamkeit behandeln können. Mich zu unterhalten und sich um mein Wohlbehagen zu kümmern, war anscheinend seine einzige Sorge.«
»Oh, über ihn weiß ich auch nichts Nachteiliges. Er kommt mir nicht hochmütig vor. Ich glaube, er ist durch und durch ein Gentleman. John hält sehr viel von ihm und Johns Urteil …«
»Na, ich werde ja sehen, wie sie sich heute Abend mir gegenüber verhalten, wir treffen sie beim Tanzen.«
»Und muss ich auch mit?«
»Willst du nicht? Ich dachte, es wäre alles verabredet.«
»Na ja, wenn du darauf bestehst, kann ich dir nichts abschlagen. Aber erwarte bitte nicht, dass ich sehr unterhaltsam bin, denn du weißt ja, mein Herz ist ganz woanders. Und tanzen – du brauchst es gar nicht erst zu erwähnen, das ist ganz ausgeschlossen. Charles Hodges wird mir vermutlich den ganzen Abend auf die Nerven gehen, aber ich werde ganz kurz angebunden sein. Zehn zu eins, dass er den Grund errät, und genau das will ich vermeiden, ich werde also darauf bestehen, dass er seine Spekulationen für sich behält.«
Isabellas Meinung von den Tilneys beeinflusste ihre Freundin nicht. Sie war sicher, dass weder Bruder noch Schwester unverschämt gewesen waren, und sie kamen ihr auch von Natur nicht hochmütig vor. Im Laufe des Abends wurde Catherines Vertrauen belohnt. Sie wurde von ihr mit der gleichen Freundlichkeit wie immer und von ihm mit so viel Aufmerksamkeit wie bisher behandelt. Miss Tilney bemühte sich offensichtlich darum, neben ihr zu sitzen, und Henry forderte sie zum Tanzen auf.
Da sie am Tag vorher in der Milsom Street gehört hatte, dass der ältere Bruder, Hauptmann Tilney, beinahe jede Minute erwartet wurde, hatte sie keine Mühe, den Namen eines sehr eleganten, gutaussehenden jungen Mannes zu erraten, den sie nie vorher gesehen hatte und der jetzt
Weitere Kostenlose Bücher