Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kloster Northanger

Kloster Northanger

Titel: Kloster Northanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
Vom Netzwerk:
Auge fiel, den sie trotz seines auffälligen Platzes bisher nicht bemerkt hatte. Henrys Worte, seine Beschreibung des Sekretärs aus Ebenholz, der ihrer Aufmerksamkeit zuerst entgehen würde, fielen ihr augenblicklich ein, und obwohl es damit eigentlich nichts auf sich haben konnte, kam ihr die Sache doch seltsam vor, jedenfalls war es ein außerordentlicher Zufall! Sie nahm ihre Kerze und sah sich den Sekretär genauer an. Er war nicht eigentlich aus Ebenholz und Gold, aber es war eine Japanarbeit, schwarz und gelb, in erlesenstem japanischem Stil, und wenn sie die Kerze nahe daran hielt, hatte das Gelb beinahe die Wirkung von Gold. Der Schlüssel steckte im Schloss, und sie spürte ein unerklärliches Verlangen hineinzusehen, nicht etwa in der Erwartung, tatsächlich etwas darin zu finden, aber die Sache war doch merkwürdig nach dem, was Henry gesagt hatte. Kurz und gut, sie konnte nicht schlafen, ehe sie den Sekretär untersucht hatte. Also stellte sie die Kerze mit großer Vorsicht auf einen Stuhl, ergriff den Schlüssel mit heftig zitternder Hand und versuchte, ihn zu drehen. Aber er widerstand ihren Anstrengungen. Beunruhigt, aber nicht entmutigt versuchte sie es auf andere Weise. Ein Riegel flog auf, und sie glaubte schon, am Ziel zu sein, aber – welch unerklärliches Geheimnis – die Tür rührte sich noch immer nicht. Catherine hielt einen Moment voll atemloser Spannung inne. Der Wind heulte im Kamin, der Regen schlug in Strömen gegen die Scheiben, und alles schien das Fürchterliche ihrer Lage zu unterstreichen. Aber unverrichteter Dinge ins Bett zu gehen, wäre aussichtslos gewesen, da an Schlaf bei dem Gedanken an einen so geheimnisvoll verschlossenen Sekretär in ihrer unmittelbaren Nähe nicht zu denken war. Sie machte sich deshalb noch einmal über den Schlüssel her, und als sie ihn eine Zeitlang in jede erdenkliche Richtung gedreht hatte, setzte sie ihre ganze Hoffnung auf einen letzten verzweifelten Versuch – und die Tür gab plötzlich nach. Ihr Herz schlug höher vor Entzücken über diesen Sieg, und nachdem sie die beiden Türen hastig aufgerissen hatte, von denen die zweite mit einem längst nicht so komplizierten Verschluss gesichert war, und obwohl ihr Auge nichts Ungewöhnliches entdecken konnte, bot sich ihrem Blick eine Doppelreihe von kleinen Schubladen mit einigen größeren Schubladen darüber und darunter, und in der Mitte verbarg eine kleine Tür, ebenfalls mit Schloss und Schlüssel gesichert, höchstwahrscheinlich ein Fach von großer Bedeutung.
    Catherines Herz schlug schneller, aber der Mut verließ sie nicht. Mit vor Erregung hochrotem Gesicht und vor Ungeduld angestrengtem Blick umklammerten ihre Finger den Griff einer Schublade und zogen sie auf. Sie war völlig leer. Weniger aufgeregt, aber mit größerer Hast öffnete sie eine zweite, eine dritte, eine vierte: alle waren gleichermaßen leer. Keine blieb unerforscht, und in keiner fand sie irgendetwas. Belesen wie sie in der Kunst, einen Schatz zu verbergen, war, erwog sie auch die Möglichkeit von doppelten Böden und tastete jede Schublade mit ängstlicher Sorgfalt ab – vergebens. Nun blieb nur das Fach in der Mitte noch unerforscht, und obwohl sie von Anfang an nicht die geringste Hoffnung gehegt hatte, in dem Sekretär irgendwo irgendetwas zu finden, und nicht im mindesten von ihrem bisherigen Misserfolg enttäuscht war, wäre es doch dumm, ihn nicht gründlich zu untersuchen, wo sie schon einmal dabei war. Es dauerte allerdings eine Weile, ehe sie die Tür öffnen konnte, denn das innere Schloss erwies sich als ebenso hartnäckig wie das äußere. Aber schließlich gab es doch nach, und ihre Suche war nicht wie bisher vergebens. Ihr rastloser Blick fiel direkt auf eine Papierrolle, die man offenbar, um sie unbefugten Augen vorzuenthalten, in die äußerste Ecke des Faches geschoben hatte, und ihre Empfindungen in diesem Augenblick waren nicht zu beschreiben.
    Ihr Herz flog, ihre Knie zitterten, und ihre Wangen wurden blass. Mit unsicherer Hand ergriff sie das kostbare Manuskript, denn schon ein halber Blick genügte, um Schriftzüge darauf auszumachen. Und während sie sich diesen schlagenden Beweis für Henrys Prophezeiung mit Gefühlen des Grauens eingestand, beschloss sie, augenblicklich jede Zeile zu studieren, bevor sie sich zur Ruhe legen würde.
    Das Flackern ihrer Kerze ließ sie beunruhigt herumfahren, aber die Gefahr, dass sie plötzlich verlöschen könnte, bestand nicht; sie würde noch ein paar

Weitere Kostenlose Bücher