Kloster Northanger
schwer zu entziffernden Zeile nach – »Ein Pflaster für den Braunen« – eine Hufschmiedrechnung! Das also war die Sammlung von Dokumenten (wie sich nun vermuten ließ, durch die Nachlässigkeit des Personals dort liegengeblieben, wo sie sie gefunden hatte), die sie mit Erwartung und Unruhe erfüllt und ihr die halbe Nachtruhe geraubt hatte! Sie wäre am liebsten vor Scham in den Boden gesunken. Hätte das Abenteuer mit der Truhe sie nicht eines Bessern belehren müssen? Eine Ecke war vom Bett aus zu sehen und schien das Urteil über sie zu fällen. Nichts war ihr nun klarer als die Absurdität ihrer nächtlichen Hirngespinste. Anzunehmen, dass ein Manuskript seit vielen Generationen unentdeckt in einem solchen Zimmer, so modern, so wohnlich, gelegen haben oder dass sie die Erste sein könne, die Geschick genug besaß, einen Sekretär zu öffnen, dessen Schlüssel allen zugänglich war!
Wie hatte sie sich nur selbst so etwas vormachen können! Dass nur Henry Tilney um Himmels willen nie von ihrer Torheit erfuhr! Und dabei war er weitgehend schuld an der Sache, denn hätte der Sekretär der Beschreibung ihrer Abenteuer nicht so genau entsprochen, wäre ihre Neugier gar nicht geweckt worden. Aber darin bestand auch ihr Trost. In dem dringenden Bedürfnis, sich der verhassten, über das Bett verstreuten Papiere, dieser verabscheuungswürdigen Zeugen ihrer Torheit, so schnell wie möglich zu entledigen, stand sie umgehend auf, rollte sie zu ungefähr der gleichen Rolle wie vorher zusammen und legte sie mit dem inbrünstigen Wunsch, dass kein unglücklicher Zufall sie zu ihrer eigenen Beschämung wieder ans Licht bringen möge, an die gleiche Stelle in den Sekretär zurück.
Warum die Schlösser allerdings so schwer zu öffnen gewesen waren, war ihr immer noch nicht ganz klar, denn der Schlüssel ließ sich jetzt mühelos drehen. Dahinter musste ein Geheimnis stecken, und sie gab sich diesem verführerischen Gedanken einen Moment lang hin, bis ihr die Möglichkeit durch den Kopf schoss, dass die Tür offen gewesen war und sie selbst sie abgeschlossen hatte, und sie errötete von neuem.
Sie beeilte sich, das Zimmer, in dem ihr Verhalten zu so peinlichen Überlegungen Anlass gab, so schnell wie möglich zu verlassen, und machte sich in aller Eile auf den Weg ins Frühstückszimmer, der ihr am Abend vorher von Miss Tilney gezeigt worden war. Henry befand sich allein darin, und als er gleich seine Hoffnung ausdrückte, dass sie durch den Sturm nicht gestört worden sei, und dabei eine vielsagende Anspielung auf den Charakter des Gebäudes machte, das sie bewohnten, brachte er sie einigermaßen in Verlegenheit. Um nichts in der Welt wollte sie ihre Schwäche verraten, aber unfähig, die Unwahrheit zu sagen, beschränkte sie sich darauf zu gestehen, dass der Wind sie eine Weile wach gehalten habe. »Aber jetzt haben wir einen herrlichen Morgen«, sagte sie in dem Bedürfnis, das Thema so schnell wie möglich zu wechseln, »und was sind Stürme und Schlaflosigkeit, wenn sie vorbei sind. Was für hübsche Hyazinthen! Ich habe Hyazinthen gerade erst lieben gelernt.«
»Und wie lernt man so etwas? Durch Zufall oder durch Überredung?«
»Ihre Schwester hat es mir beigebracht, ich weiß auch nicht, wie. Mrs. Allen hat sich jahraus, jahrein bemüht, mich dafür zu begeistern, aber es ist ihr nie gelungen, bis ich sie neulich in der Milsom Street gesehen habe. Ich mache mir eigentlich nichts aus Blumen.«
»Und nun lieben Sie Hyazinthen. Um so besser. Sie haben eine neue Quelle der Freude entdeckt, und es kann ja auch gar nicht genug Anlässe zum Freuen geben. Übrigens bekommt eine Schwäche für Blumen dem weiblichen Geschlecht immer gut, weil sie dadurch ins Freie gebracht und zu mehr Bewegung verlockt werden als sonst. Und wenn die Liebe zu Hyazinthen vielleicht auch ein bisschen häuslich ist, wer weiß, einmal auf den Geschmack gekommen, lernen Sie mit der Zeit möglicherweise sogar noch Rosen lieben.«
»Aber ich brauche gar keinen solchen Anlass, um ins Freie zu gehen. Die Freude an Spaziergängen und an der frischen Luft genügt mir, und bei schönem Wetter bin ich die meiste Zeit draußen. Mama sagt, ich bin nie im Haus.«
»Wie dem auch sei, ich bin trotzdem froh, dass Sie Hyazinthen liebengelernt haben. Man kann sich ans Liebenlernen gar nicht früh genug gewöhnen, und bei einer jungen Dame ist ein gelehriges Naturell ein wahrer Segen. Sind die Unterrichtsmethoden meiner Schwester akzeptabel?«
Catherine
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