Kloster Northanger
Leute, ein hinreichend großes Speisezimmer jedoch für eine der Notwendigkeiten des Lebens halte. Er vermute allerdings, dass sie von den Allens her an ganz andere Dimensionen gewöhnt sei.
»Nein, keineswegs«, versicherte Catherine in aller Ehrlichkeit. Mr. Allens Speisezimmer sei kaum halb so groß, und sie habe in ihrem ganzen Leben noch nie ein so großes Zimmer gesehen. Der General wurde aufgeräumter. Na ja, da er solche Räume nun einmal besitze, wäre es einfältig, sie nicht zu benutzen. Aber er frage sich ehrlich gesagt, ob es sich in Räumen, die nur halb so groß seien, nicht viel bequemer lebe. Er sei überzeugt, Mr. Allens Haus habe genau die Größe, in der man sich mit gutem Gewissen wohl fühlen könne.
Der Abend verlief ohne weitere Störung, und wenn General Tilney abwesend war, auch in der denkbar besten Laune. Nur in seiner Gegenwart spürte Catherine ihre Reisemüdigkeit, und selbst dann – selbst in Augenblicken, wo sie Erschöpfung und Befangenheit empfand – herrschte ein allgemeines Glücksgefühl in ihr vor, und sie dachte an ihre Freundin in Bath, ohne sie im geringsten zu vermissen.
Die Nacht war stürmisch; schon am Nachmittag hatte sich der Wind von Zeit zu Zeit erhoben. Als man sich gute Nacht sagte, stürmte und regnete es heftig. Als Catherine die Halle durchquerte, lauschte sie dem Unwetter mit ehrfurchtsvollem Schaudern, und als sie hörte, wie es um eine Ecke des alten Gebäudes fuhr und in plötzlicher Wut eine entfernte Tür zuschlug, empfand sie zum ersten Mal, dass sie wirklich in einem Kloster war. Ja, das waren die typischen Geräusche! Sie beschworen vor ihrem inneren Auge eine endlose Zahl von grässlichen Begebenheiten und gruseligen Szenen herauf, die solche Gebäude erlebt und solche Stürme angekündigt hatten, und von ganzem Herzen wusste sie die glücklicheren Umstände zu schätzen, unter denen sich ihr Eintritt in diese ehrfürchtigen Mauern abgespielt hatte. Sie hatte nichts von mitternächtlichen Mördern und betrunkenen Galanen zu befürchten. Henry hatte bestimmt nur Spaß gemacht bei dem, was er ihr am Vormittag erzählt hatte. In einem so großzügig eingerichteten und so sorgfältig bewachten Haus gab es für sie bestimmt nichts zu ergründen oder zu erleiden, und sie konnte so getrost zu Bett gehen, als sei sie in ihrem eigenen Zimmer in Fullerton. So sprach sie sich vorsichtshalber auf der Treppe Mut zu, und als sie sah, dass Miss Tilney nur zwei Türen weiter schlief, gelang es ihr, ihr Zimmer einigermaßen beherzt zu betreten. Beim Anblick eines hell lodernden Kaminfeuers hob sich ihre Stimmung sofort. »Wie viel angenehmer ist es«, sagte sie, als sie ans Kamingitter trat, »wie viel angenehmer, ein brennendes Feuer vorzufinden, als zitternd in der Kälte warten zu müssen, bis die ganze Familie zu Bett gegangen ist, ein Schicksal, das so viele bemitleidenswerte Mädchen erdulden mussten, und dann von einer treuen alten Dienerin, die mit einem Kienspan eintritt, erschreckt zu werden. Wie froh bin ich, dass Northanger so ist und nicht anders! Wenn es wie manche anderen alten Gebäude wäre, dann weiß ich nicht, ob mich nicht in einer solchen Nacht mein Mut verlassen hätte. Aber hier gibt es bestimmt nichts zu befürchten.«
Sie sah sich im Zimmer um. Die Fenstervorhänge schienen sich zu bewegen. Das konnte nur der Wind sein, der mit Ungestüm durch die Ritzen der Fensterläden drang, und um sich davon zu überzeugen, trat sie, unbekümmert ein Lied summend, ans Fenster, blickte mutig hinter jeden Vorhang, konnte auf keinem der niedrigen Fensterbänke etwas Furchterregendes entdecken und erhielt, als sie die Hand gegen den Fensterladen legte, den überzeugenden Beweis von der Gewalt des Sturms. Ein Blick auf die alte Truhe, als sie sich wieder ins Zimmer wandte, verfehlte seine Wirkung nicht. Sie lachte verächtlich über die unbegründete Furcht einer müßigen Einbildungskraft und begann in größter Gelassenheit sich auszuziehen. Sie würde sich Zeit lassen, sie würde sich nicht beeilen, es war ihr gleich, ob sie als Allerletzte im Haus noch auf war, aber sie würde nichts mehr aufs Feuer legen, das sähe feige aus, so als sei sie auf das tröstliche Licht angewiesen, wenn sie im Bett lag. Das Feuer brannte deshalb langsam nieder, und nachdem Catherine beinahe eine Stunde mit dem Auskleiden zugebracht hatte, wollte sie sich gerade ins Bett legen, als ihr bei einem letzten Blick durchs Zimmer ein hoher, altmodischer, schwarzer Sekretär ins
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