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Kloster Northanger

Kloster Northanger

Titel: Kloster Northanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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sie schien auf Widerstand zu stoßen – konnte sie den Deckel ein paar Zentimeter heben. Aber in dem Moment ließ sie ein plötzliches Klopfen an der Zimmertür auffahren, so dass ihr der Deckel aus der Hand glitt und mit beängstigendem Getöse zufiel. Der unerwünschte Eindringling war Miss Tilneys Zofe, die von ihrer Herrin geschickt worden war, um Miss Morland behilflich zu sein. Und obwohl Catherine sie gleich wieder fortschickte, erinnerte der Zwischenfall sie an ihre Pflichten und zwang sie, trotz des unwiderstehlichen Bedürfnisses, das Geheimnis zu lüften, ohne weitere Verzögerung mit dem Ankleiden fortzufahren. Allerdings kam sie nur langsam voran, denn sie konnte Gedanken und Augen nicht von dem Gegenstand wenden, der so dazu angetan war, zugleich Neugier und Herzklopfen hervorzurufen, und obwohl sie sich nicht traute, noch mehr Zeit bei einem zweiten Versuch zu vergeuden, konnte sie sich doch nicht von der Truhe trennen. Als sie schließlich schon einen Ärmel übergestreift hatte, schien ihre Toilette so weit beendet, dass sie glaubte, ihrer ungeduldigen Neugier ungestraft nachgeben zu dürfen. Einen Augenblick würde sie doch wohl erübrigen können, und so verzweifelt sollte ihre Anstrengung sein, dass der Deckel, wenn ihn nicht übernatürliche Mächte hielten, mit einem einzigen Ruck aufklappen würde. Beherzt ging sie ans Werk, und ihre Zuversicht wurde nicht enttäuscht. Mit entschlossenem Ruck warf sie den Deckel zurück, und ihren erstaunten Augen bot sich der Anblick eines weißen baumwollenen Bettüberwurfs, der sich, sorgfältig zusammengelegt, unbestreitbar in der einen Ecke der Truhe breitgemacht hatte.
    Überrascht und peinlich berührt starrte sie noch darauf, als Miss Tilney, in der Befürchtung, ihre Freundin könne sich verspäten, das Zimmer betrat, und zu Catherines wachsender Beschämung, einige Minuten lang absurde Erwartungen gehegt zu haben, trat nun noch die Scham, bei einer so vergeblichen Suche ertappt worden zu sein. »Ist das nicht eine merkwürdige alte Truhe?« sagte Miss Tilney, als Catherine hastig den Deckel schloss und sich zum Spiegel wandte. »Niemand weiß, seit wie vielen Generationen sie hier schon steht. Wie sie in dieses Zimmer gekommen ist, weiß ich nicht, aber ich habe sie nicht umstellen lassen, weil ich dachte, vielleicht ist sie manchmal zum Aufbewahren von Hüten und Hauben nützlich. Leider lässt sie sich wegen ihres Gewichts nur sehr schwer öffnen. In der Ecke steht sie aber wenigstens nicht im Weg.«
    Catherine hatte keine Zeit zu sprechen, da sie gleichzeitig errötete, die Schleife ihres Kleides band und weise Vorsätze fasste. Miss Tilney deutete diskret an, dass es schon sehr spät sei, und unmittelbar darauf liefen sie gemeinsam die Treppe hinunter, wo sich ihre Befürchtung als nicht ganz unbegründet erwies, denn General Tilney schritt, die Uhr in der Hand, im Wohnzimmer auf und ab, und während er im Moment ihres Eintretens ungestüm die Klingel zog, befahl er: »
Auf der Stelle
servieren!«
    Catherine zitterte bei der Bestimmtheit seines Tons und saß in tiefster Zerknirschung, besorgt um seine Kinder und voller Verachtung für alte Truhen, blass und atemlos da, und da der General bei ihrem Anblick seine Höflichkeit wiederfand, verbrachte er die restliche Zeit damit, seine Tochter auszuschimpfen, dass sie ihre hübsche Freundin, die noch jetzt völlig außer Atem sei, so unsinnig zur Eile angetrieben habe, wo es doch nicht den geringsten Anlass auf der Welt zur Eile gebe. Aber Catherine konnte erst über den doppelten Vorwurf hinwegkommen, eine Strafpredigt für ihre Freundin heraufbeschworen und selbst ein großer Einfaltspinsel gewesen zu sein, als sie alle glücklich am Dinnertisch saßen und das wohlgefällige Lächeln des Generals und ihr eigener guter Appetit ihren Seelenfrieden wiederherstellten. Das Esszimmer war ein stattlicher Raum, der sich aufgrund seiner Dimensionen viel eher zu einem Wohnzimmer geeignet hätte als der dafür benutzte Raum, und es war in einem so luxuriösen und aufwendigen Stil eingerichtet, dass es an die unerfahrenen Augen Catherines, die wenig mehr als seine Geräumigkeit und die Zahl der Diener bemerkte, fast verschwendet war. Sie drückte ihre Bewunderung für seine Größe aus, und mit huldvoller Miene gab der General zu, dass es sich durchaus nicht um einen unproportionierten Raum handle, und gestand darüber hinaus, dass er solchen Dingen zwar ebenso gleichgültig gegenüberstehe wie die meisten

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