Kloster Northanger
sagte der General mit einem Blick herablassender Genugtuung.
Nachdem er ihr jeden Winkel gezeigt und sie an jeder Mauer entlanggeführt hatte, bis sie es gründlich leid war, noch irgendetwas ansehen und bewundern zu müssen, gestattete er den Mädchen endlich, durch eine Tür nach draußen zu treten, und schlug vor, falls Miss Morland nicht zu müde sei, den Spaziergang bis zum Teehäuschen auszudehnen, damit er dort einige in jüngster Zeit vorgenommene Veränderungen begutachten könne. »Aber wohin gehst du denn, Eleanor? Warum gehst du den kalten, feuchten Weg dorthin? Miss Morland wird nass werden. Der beste Weg führt durch den Park.«
»Dieser Weg ist mir so lieb«, sagte Miss Tilney, »dass ich ihn immer für den besten und nächsten halte. Aber vielleicht ist er wirklich feucht.«
Es war ein schmaler, gewundener Pfad, der durch ein dichtes Gehölz alter Kiefern führte. Catherine faszinierte sein düsterer Anblick, und selbst das Missfallen des Generals konnte sie nicht davon abhalten, das Gehölz zu betreten. Er bemerkte ihre Absicht, und nachdem er ihr noch einmal vergeblich die Gefahr für ihre Gesundheit vor Augen geführt hatte, war er zu höflich, ihr noch länger abzuraten. Auf seine Begleitung mussten sie allerdings verzichten. Die Sonne scheine ihm nicht warm genug, er würde sie auf einem anderen Weg treffen. Er ging davon, und Catherine war entsetzt darüber, wie sehr seine Abwesenheit sie erleichterte. Da der Schock aber kleiner war als ihre Erleichterung, machte sie sich weiter nichts daraus, und sie begann mit unbekümmerter Munterkeit von der köstlichen Melancholie zu sprechen, die solch ein Wäldchen ausstrahle.
»Ich hänge ganz besonders an diesem Fleckchen«, sagte ihre Begleiterin mit einem Seufzer. »Es war der Lieblingsplatz meiner Mutter.«
Der Name Mrs. Tilneys war von der Familie in Catherines Gegenwart bisher nie erwähnt worden, und das Interesse, das diese zärtliche Erinnerung erregte, spiegelte sich unmittelbar in ihrem veränderten Gesichtsausdruck und ihrem erwartungsvollen Schweigen, mit dem sie auf nähere Erklärungen wartete.
»Ich bin hier so oft mit ihr spazieren gegangen«, fuhr Eleanor fort, »obwohl mir damals längst nicht so viel daran lag wie heute. Damals habe ich mich oft über ihre Vorliebe gewundert. Aber die Erinnerung an sie macht mir den Ort lieb und wert.«
›Und sollte er nicht auch ihrem Mann lieb und wert sein?‹, dachte Catherine bei sich. ›Und doch wollte ihn der General nicht betreten.‹ Da Miss Tilney weiterhin schwieg, fuhr sie vorsichtig fort: »Ihr Tod muss ein großer Verlust für Sie gewesen sein.«
»Ein großer, immer schmerzlicher empfundener Verlust«, erwiderte ihre Freundin mit leiser Stimme. »Ich war erst dreizehn, als sie starb, und obwohl ich den Schlag so intensiv empfand, wie man ihn in dem Alter empfinden kann, konnte ich seine Bedeutung damals nicht ermessen.« Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann mit großer Festigkeit fort: »Ich habe ja keine Schwester, und obwohl Henry – obwohl meine Brüder sehr liebevoll sind und Henry viel zu Hause ist, wofür ich ihm sehr dankbar bin, kann ich doch nicht umhin, mich oft sehr einsam zu fühlen.«
»Sie müssen ihn sehr vermissen.«
»Eine Mutter wäre immer da gewesen. Eine Mutter wäre eine ständige Freundin gewesen, ihre Beziehung zu mir wäre enger gewesen als alle anderen.«
»War sie eine sehr reizvolle Frau? War sie hübsch? Gab es ein Bild von ihr im Kloster? Und warum hatte sie so an dem Wäldchen gehangen? Hatte sie unter Schwermut gelitten?« Das waren die Fragen, die Catherine aufgeregt hervorbrachte. Die ersten drei wurden ohne Zögern bejaht, die beiden anderen übergangen, und Catherines Interesse an der verstorbenen Mrs. Tilney wuchs mit jeder Frage, ob beantwortet oder nicht. Von ihrer unglücklichen Ehe war sie überzeugt. Der General konnte nur ein liebloser Gatte gewesen sein. Ihm lag nichts an ihrem Lieblingspfad – konnte ihm viel an ihr gelegen haben? Und so gut er im Übrigen aussah, es gab etwas in seinen Zügen, was Lieblosigkeit seiner Frau gegenüber verriet.
»Ihr Bild hängt, vermute ich«, und sie errötete über die unvergleichliche Raffinesse ihrer Frage, »im Zimmer Ihres Vaters?«
»Nein, es war fürs Wohnzimmer bestimmt, aber mein Vater war unzufrieden mit dem Bild, und eine Zeitlang wurde es gar nicht aufgehängt. Kurz nach ihrem Tode habe ich es mir ausgebeten und es in mein Schlafzimmer gehängt, wo ich es Ihnen gerne zeigen
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