Klostergeist
bildete, die den beigefarbenen Teppich dunkel färbte. Marlies folgte Verenas Blick und zuckte mit den Schultern. »Das macht nichts, Frau Hälble, der Teppich gehört sowieso gereinigt.«
Verena atmete tief ein. Dann sagte sie, zu Fischer gewandt: »Magst du Frau Engel in der Küche helfen?«
Der Assistent brummte etwas Unverständliches, strich sich die Haarpracht glatt und ging aus dem Raum. Wenig später hörte sie sein sonores Lachen und das Klappern von Geschirr. Auf Thorbens Charme war also Verlass.
»Frau Engel, ich will Sie nicht unnötig belästigen, aber ich habe ein paar Fragen, die leider keinen Aufschub dulden«, begann Verena.
Marlies Engel nickte stumm. »Fragen Sie, Frau Kommissarin, fragen Sie. Je eher der Fall geklärt ist, desto eher kann ich vielleicht zur Ruhe kommen.«
»Gut, Frau Engel. Wir gehen davon aus, dass Ihr Mann sich nicht aus freien Stücken umgebracht hat.«
Marlies Engel nickte bekräftigend. »Das hätte auch nicht zu ihm gepasst«, flüsterte sie leise. Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Die Obduktionsergebnisse, die ich Ihnen in den Details ersparen möchte, lassen den Schluss zu, dass Ihr Mann vom Kirchturm gestoßen wurde. Was für mich nun Fragen aufwirft: Wer kann das getan haben? Hatte Ihr Mann Feinde? Neider?«
Marlies Engel schnäuzte sich geräuschvoll und warf das Papiertaschentuch achtlos zu den anderen neben sich auf das Sofa.
»Feinde? Manfred?« Die Witwe schüttelte den Kopf. »Ein paar politische Gegner, ja, das schon, Leute, die mit den Entscheidungen im Rathaus nicht einverstanden waren. Aber Feinde? Nein.« Marlies zögerte einen Moment, klappte den Mund auf – und besann sich dann offensichtlich anders. »Wissen Sie, Frau Hälble, mein Mann hat mit mir nie viel über die politischen Angelegenheiten gesprochen. Wenn er nach Hause kam, dann hat er, wie man so sagt, quasi an der Tür seine Amtskette abgelegt. Und wenn es im Gemeinderat mal Streit gab, dann hab ich das nur gemerkt, weil er nach solchen Sitzungen meistens gleich ins Bett gegangen ist.«
»Aber hat ihn denn einmal jemand bedroht? Laut angegriffen?«
Wieder verneinte die Witwe.
»Vielleicht müssen wir ja auch in Ihrem privaten Umfeld suchen? Gab es Zwist in der Verwandtschaft? Unter den Freunden?«
Marlies Engel verneinte erneut – vehement. »Auf keinen Fall, Frau Kommissarin, mein Mann und ich, wir hatten ein sehr gutes Verhältnis zu unserer Familie. Und unser Freundeskreis besteht seit Schultagen. Nein, wirklich, das ist absurd.« Sie stand auf, schwankte einen Moment und entschuldigte sich dann just in dem Moment, als Evelyne Engel und Thorben Fischer mit dem Kaffee ins Zimmer traten.
»Ist dir nicht gut?« Besorgt stellte Evelyne das Tablett auf den Couchtisch und strich ihrer Schwägerin über die Schulter.
»Nein, alles gut, ich muss nur mal eben zur Toilette«, murmelte die Hausherrin.
Evelyne sah ihr mit sorgenvollem Gesicht nach. Die schwarze Bluse war Marlies hinten aus der Hose gerutscht und gab den Blick frei auf einen Streifen ihres nackten Rückens. Betreten senkte Verena den Kopf.
»Milch? Zucker?« Evelyne Engel schenkte aus der silbern glänzenden Isolierkanne Kaffee in die Zwiebelmustertassen.
»Alles, ich nehme alles«, polterte Fischer.
Verena schüttelte stumm den Kopf und nahm dann einen großen Schluck des schwarzen Gebräus.
»Sie steht völlig neben sich«, erklärte Evelyne Engel beinahe entschuldigend und setzte sich Verena gegenüber in den Sessel. »Ich glaube, sie hat noch immer nicht begriffen, was geschehen ist. Heute Morgen zum Beispiel hat sie den Frühstückstisch für zwei Personen gedeckt, als ob Manfred jeden Moment kommen würde.« Die Bankersfrau stellte die Tasse ab und wischte sich eine Träne von der gepuderten Wange.
»Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen? Hat sie eine Äußerung gemacht, die, sagen wir, auffällig war? Oder gab es in der Vergangenheit Ereignisse, die uns weiterhelfen könnten?«
Evelyne Engel schüttelte den Kopf und starrte von Verena zu Fischer, der mühsam seinen Notizblock aus der Jackentasche kramte. »Wissen Sie, mein Mann und ich sind so oft in Stuttgart, eigentlich könnten wir unser Haus hier verkaufen«, meinte sie dann. »Aber für mich käme das nicht infrage, wir sind in Spaichingen zu Hause.«
Verena nickte, Fischer notierte.
»Leider bleibt viel zu wenig Zeit für die Familie, und die wenigen Stunden, die wir gemeinsam verbringen, sollen nicht mit Problemen belastet werden. Krisen gibt’s in der
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