Klostergeist
erhellte sein Gesicht: Thorben Fischer schlenderte vorbei. An der Seite des jungen Kommissars schwebte Anja Sonnlein. Die Fernsehmoderatorin schaute mit großen Augen zu Fischer auf, der gestenreich erzählte. Auf Höhe des Fensters, hinter welchem Pius saß, blieben die beiden einen Moment stehen. Der Pater registrierte unzählige Fältchen um Anja Sonnleins Augen. Im Fernsehen sind die nie zu sehen, dachte er bei sich. Fischer hob den Arm, als wolle er die Moderatorin umarmen. Doch die machte einen Schritt nach vorne und kurz darauf war das Paar aus Pius’ Blickfeld verschwunden.
Der Pater griff nach dem Aufsteller, der neben einer angebrannten Kerze und Kunstblumen auf dem Tisch stand. Lustlos betrachtete er die Fotos von Eiscafé, gemischten Eisbechern und Milchshakes auf der abgegriffenen Karte. Dann schob er die Plastikrosen von rechts nach links und wieder zurück. Die Uhr über der Theke tickte leise. Pius popelte eine Wachsnase von der Kerze. Als er sich eben überlegte, wo er Streichhölzer finden könnte, um die Kerze anzuzünden, drang ein Poltern durch die Zimmerdecke, gefolgt von einem Heulen.
Der Pater sprang auf, stürzte zur Tür mit der Aufschrift ›Privat – Kein Zugang‹ und hastete die Holzstiegen nach oben. Die Tür zu Bärbels Wohnung stand offen. Pius schlüpfte in den Flur und lauschte. Tatsächlich – aus einem der hinteren Räume drang Schluchzen. Er schlängelte sich am Telefontischchen und der mit Jacken überladenen Wandgarderobe vorbei, lauschte an jeder der geschlossenen Türen. An der vorletzten auf der rechten Seite blieb er schließlich stehen und legte das Ohr auf das Holz. Wimmern und Weinen waren zu hören.
Leise und ganz vorsichtig drückte Pius die Klinke herunter. Heimlich dankte er den fleißigen Händen, welche die Tür geölt hatten – lautlos ließ sie sich einen Spalt weit öffnen. Pius linste in die Wohnstube. Dort kniete Bärbel, dem Pater den Rücken zuwendend, auf dem Boden und starrte das Kruzifix in der Ecke an. Wieder und wieder wurde die Frau von Heulkrämpfen geschüttelt. Pius zögerte – etwas hielt ihn zurück. Minutenlang starrte der Pater auf die Frau, die sich nun vor- und zurückwiegte, und sich immer wieder die Haare raufte. Pius wollte gerade einen Schritt in die Stube machen, als Bärbel erneut aufheulte.
»Ich bin schuld, ich bin schuld«, kreischte die Frau und hob flehend die Hände gen Kruzifix. »Ich hab ihn umgebracht, oh mein Gott, ich hab ihn umgebracht!« Dann drang ein Schrei wie von einem waidwunden Tier aus Bärbels Kehle. Pius lief es eiskalt den Rücken herunter.
Hier ist Radio Donauwelle, am Mikrofon eure Svenja. Willkommen beim schnellsten Sender im Kreis Tuttlingen! Leute, das war ein Tag – erst warte ich den ganzen Vormittag, dass endlich der Typ von Kabel-TV kommt, damit ich mehr als drei Sender auf den Schirm kriege, dann ist mein Lieblingsduft in der Parfümerie ausverkauft und zu guter Letzt springt mir noch ein Betonpfeiler im Parkhaus vom C&A in die Beifahrertür …
Mir reicht’s für heute. Deshalb für alle da draußen, die ähnlich schlecht gelaunt sind wie ich und für meine Versicherung! ›Crash Test‹ von der Fear Factory.
Nach dem Song gibt’s noch ein Statement von Steven zum Todesfall Engel. Und dann verrate ich euch das Kinoprogramm für die kommende Woche.
Zur selben Zeit starrte Verena Hälble in das versteinerte Gesicht Arthur Hafens. Vom Flur her drang das Klappern der mechanischen Schreibmaschine, mit welcher die Sekretärin seit Jahrzehnten Adressen auf Briefumschläge tippte, in den kleinen Vernehmungsraum im zweiten Stock des Reviers. Auch wenn das ›E‹ und das ›R‹ klemmten, trennen wollte sie sich nicht von der Maschine. Da konnte das PC-Programm noch so gut sein, Frau Haller schwor Stein und Bein, dass die Schreibmaschine das zuverlässigere Gerät sei.
Zwischen Verena und Hafen stand ein Diktiergerät, flankiert von zwei braunen Plastikbechern mit längst kalt gewordenem Automatenkaffee. Arthur Hafen hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Unter dem Tisch wippte er nervös mit den dunkelbraunen Schnürschuhen.
»Herr Hafen«, begann Verena erneut und, wie sie annahm, zum siebten oder achten Mal. »Wenn Sie keine Aussage machen wollen, so ist das Ihre Entscheidung. Ich kann Ihnen nur raten – reden Sie, wenn es etwas gibt, das ich wissen sollte.«
Hafen schnaubte. »Jaja, und wenn ich jetzt ein Geständnis ablege, dann wird das vor Gericht positiv
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